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Ahoi.
In grauer Vorzeit habe ich mich zwar schon einmal in diesem Forum vorgestellt. Die passive und aktive Anteilnahme am Geschehen in dieser lustigen kleinen Gemeinde kam dann aber zum Erliegen. Das war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass mein Saab das tat, was ein Saab nun einmal tun soll: Er spulte problemlos und (weitgehend) defektfrei Kilometer ab.
Da aber der Kauf eines neuen Autos zumindest für mich auch immer mit sentimentalen Regungen verbunden ist, schreibe ich nun meine Saab-Geschichte einfach nochmal im Zusammenhang auf.
2007 verschlug es mich nach dem Studium beruflich in die Hauptstadt. Nach einigen Monaten kam ich zu dem nüchternen Entschluss, dass ich kein Auto mehr haben muss, und vermachte meinen alten BMW 316i meinen Eltern. Eine schicksalhafte Fehlentscheidung mit erfreulichen Konsequenzen. Denn nach kurzer Zeit stellte ich fest: Es gibt in Berlin kaum Situationen, in denen ich ein Auto brauche. Dennoch brauche ich unbedingt ein Auto. Beraubt um die Freiheit, am Freitagabend ohne Rücksicht auf irgendwelche Fahrpläne ein paar Klamotten in die Reisetasche zu stopfen und IRGENDWO hinfahren zu können, fühle ich mich im Alltag eingesperrt.
Also begab ich mich auf die Suche nach einem neuen fahrbaren Untersatz. Aber was für einen? Ich saß auf dem Sofa, durchstöberte einigermaßen lust- und ziellos die einschlägigen Internetseiten nach mobilen Gebrauchsgegenständen, und beim Blick auf meinen Haustürschlüssel, an dem seit mehr als zehn Jahren ein Saab-Schlüsselanhänger hing, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich erinnerte mich, wie das damals war, als ich als 18jähriger während des Schülerpraktikums bei einem Saab-Händler in zahllosen fabrikneuen Saab saß, mit der Hand über die Karosserien strich und dachte: „Wenn du erst einmal deinen ersten eigenen Saab hast, dann hast du es im Leben zu etwas gebracht.“ Was blieb, war der Schlüsselanhänger, den ich zum Abschied bekam. Und der erinnerte mich im passenden Moment daran, dass der Zeitpunkt gekommen war, um den alten Traum in die Tat umzusetzen.
Es folgte die übliche Odyssee quer durch die Republik, die viele von Euch kennen. Man besichtigt einen Saab nach dem anderen, und keiner davon ist das, was man gesucht hat. Manchmal aus objektiven Gründen. Manchmal eben nur gefühlt. Und wenn der Richtige einem dann vor die Füße rollt, geht plötzlich alles ganz schnell.
Kapitel eins: Saab 9-3 2.3i SE Automatik 5türig, Erstzulassung 5/98, Zirrusweiß, 146.000km, die alte Hillary.
Die Suche dauerte Monate - bis zum März 2008. Ich kam gerade aus Bremen zurück, wo ich Bekanntschaft mit einem „lückenlos scheckheftgepflegten“ Saab 9-3 gemacht hatte, der seit 40.000 Kilometern kein frisches Öl bekommen hatte. Der mittlerweile geübte abendliche Blick auf die neuen Inserate offenbarte dann ein interessantes Angebot. Saab 9-3 2.3i SE Automatik in Zirrusweiß, Erstzulassung Mai 1998, jungfräuliche 81.000 Kilometer auf der Uhr. Absurde Konfiguration. Absurd niedriger Preis. Zu allem Überfluss stand das Auto bei einem Saab-Händler in … Bremen. Also einmal laut geflucht und zwei Tage später zurück auf die Autobahn.
Es war die ersehnte Saab-Liebe auf den ersten Blick. Der 9-3 war nach dem Tod des Erstbesitzers, seines Zeichens Dozent an der Musikhochschule, noch zwei Jahre auf die Gattin zugelassen, wurde in der Zeit aber kaum noch bewegt. Der Pflegezustand war nahezu makellos. Im Ablagefach zwischen den Vordersitzen befand sich ein Rasierpinsel zum Entstauben des Armaturenbretts und ein Rabattmarkenheft für die Autowaschanlage. Trotz aller kritischen Laienblicke fand ich keinen Grund dafür, warum dieses Auto so billig war. Und es war wirklich billig. Und schön. Also wurde es meins.
Ich denke, fast jeder hat in seiner Autofahrervita ein Auto, das er „nie hätte verkaufen sollen“ - oder ein Auto, das er im Rückblick als „Auto seines Lebens“ bezeichnet. Für mich ist es dieses YS3D-Konfigurationskuriosum aus Bremen. Unter der Haube werkelt der Brot&Butter-Sauger als Erbstück aus dem Saab 9000, von dem man in Trollhättan anno 1998 noch ein paar Restbestände verbaute. Ein Aggregat, bei dem man sich angewöhnt, nach jeder Baustellenausfahrt sofort nach rechts zu lenken, um die ganzen Vertreter-TDIs vorbeiziehen zu lassen.
Er wird ganz konventionell mit dem Zündschlüssel geöffnet, weil er zu den beklagenswerten ersten 9-3 Exemplaren gehört, bei denen die Schweden übersahen, dass ein Auto in der 50.000 Mark-Klasse eine Infrarotfernbedienung haben sollte. Er besitzt die feudale SE-Ausstattung und so ziemlich alles, was laut Aufpreisliste bestellbar war – aber einen Tempomat hielt der Erstbesitzer aus unerfindlichen Gründen für überflüssig.
Wahrscheinlich sind es gerade diese Besonderheiten, die dieses Auto für mich einzigartig machen. Kaum jemand außer mir würde diesen Saab verstehen. Deshalb gehört er zu mir. Und da der Rasierpinsel des Vorbesitzers verpflichtet, habe ich in den vergangenen Jahren auch gelöste 4.500 Euro in Wartung und Reparaturen gesteckt. Richtig kaputt war er nie. Zu reparieren gab es trotzdem manchmal was. Seit 2008 hat mich der 9-3 von Berlin zunächst nach Hamburg und schließlich nach Düsseldorf begleitet. Das HH-Kennzeichen stand ihm mit Abstand am besten. Aber leider kann man seinen beruflichen Lebenslauf nicht immer nach dekorativen Kfz-Kennzeichen planen.
Die Geschichte des Namens habe ich bei meiner ersten Vorstellung schon erzählt. Daher nur kurz: Die alte Hillary wurde in jener Zeit gekauft, als ihre amerikanische Namenskollegin in einer furiosen Aufholjagd mehrere Vorwahlen gegen Barack Obama gewann und großartige Sätze prägte wie: „The race isn’t over until the lady in the pant suit says it is!“ oder „I’m in for the long run.“ Gibt es ein besseres Motto für einen Saab?
Kapitel 2: Saab 9-3 2.0i Automatik Coupé, Erstzulassung 7/98, Kosmosblau, 155.000km, Norbert.
Der zweite Saab folgte im Dezember 2008 und war für meine Eltern bestimmt. Die Suche nach Saab Nummer eins war ein Leidensritual, das nicht nur meinen Enthusiasmus forderte, sondern auch den meines Vaters entfachte. Als wir den weißen 9-3 gemeinsam in Bremen abholten und auf halber Strecke die Plätze tauschten, war klar: Der BMW ist schön, aber er muss weg. Ein Saab ist schöner, also muss er her. Es wurde ein kosmosblauer 98er 9-3 2.0i Automatik, einst bestellt von einem Gymnasiallehrer mit gehobenen Komfortansprüchen, den ich bei einem Kiesplatzhändler in Berlin Neukölln aufgetan hatte (also das Auto, nicht den Lehrer). Scheckheftgepflegt, wenig gelaufen, mit ein paar kleineren Beulen für die individuelle Note, wiederum zu einem unerklärlichen Schleuderpreis. Die Abholung des Autos ist mir in lebhafter Erinnerung geblieben. Denn als Prenzlauer Berg-Insasse überkam mich eine gewisse Beklommenheit bei der Vorstellung, mit einer größeren Summe Bargeld durch eine finstere Ecke von Neukölln zu spazieren. Also stopfte ich mir die Geldscheine in einer Plastiktüte in die Unterhose - und erfüllte beim Bezahlen buchstäblich jedes Klischee, das ein Neuköllner Kiesplatzhändler von einem zugereisten West-Yuppie mit 10405-Postleitzahl haben kann.
Wie auch immer: Genauso wie Saab Nummer eins widerlegte auch Saab Nummer zwei den zwiespältigen Ruf seiner Baureihe. Das Auto hat mittlerweile 155.000 Kilometer abgespult. Dass meine Eltern der Meinung sind, zwei baumelnde Plüsch-Elche an den Lüfterdüsen links und rechts würden den Innenraum optisch aufwerten, ertrage ich stillschweigend. Hauptverantwortliche ist meine Erzeugerin. Und die hat den alten Schweden auch beim ersten Anblick getauft: „Oh, ein Norbert!“
Kapitel 3: Saab 9000 Aero. Erstzulassung 6/96, Schwarz, 340.000km, ein Aero braucht keinen anderen Namen.
Der dritte Saab ließ länger auf sich warten, war ein Zufallsfund und landete schließlich bei meinem Bruder. Ein paar altersschwache Rückschlagventile der Scheibenwaschanlage führten mich im Dezember 2010 in eine Saab-Vertragswerkstatt in der Nähe von Hamburg. Während der Reparatur strich ich über den Hof und entdeckte im hintersten Winkel ein seltenes Exemplar des besten Autos, das Saab nach meiner Meinung je gebaut hat: Saab 9000. Aero. Schwarz. Der einzige Vorbesitzer, Pathologe wohnhaft nahe Elbchaussee, hatte es wenige Tage zuvor für einen neuen Saab in Zahlung gegeben. Der Kilometerzähler zeigte schon stolze 335.000. Aber im emotionalen Rausch nach der Probefahrt und nach einem Blick unter den rostfreien, knochentrockenen Unterboden entschied ich, dass dieses Auto vor dem Export gerettet werden muss, und unterschrieb einen Kaufvertrag. Was ich mit dem Auto anfangen sollte, würde ich mir dann später überlegen. Es ergab sich, dass mein Bruder gerade ein neues Auto brauchte, und so entschloss ich mich schweren Herzens, den Aero ihm zu geben. Schweren Herzens nicht nur, weil ich mich rettungslos in den Wagen verliebt hatte, sondern auch, weil zu allem Überfluss die Erstzulassung auf meinem Geburtstag datiert.
Machen wir die schmerzhafte Geschichte kurz: Wenn ich jemals vor den Saab-Gott treten sollte und dieser zwischen Hölle und Himmelreich entscheidet, brauche ich einen guten Strafverteidiger. Denn trotz aller dezenten Hinweise meinerseits, dass es sich um ein Stück schwedisches Kulturgut handelt, ist der Aero für meine Blutsverwandschaft nur ein Ding mit vier Rädern, das irgendwie fahren soll. Wahrscheinlich hätte ich ihn behalten und wegstellen sollen. Zu spät.
Kapitel 4: Saab 9-5 2.3t Vector SportCombi, EZ 9/2006, Nocturnblau, 37.000km, die dicke Alma.
Der vierte Saab ist nun der Anlass für diese Zwischenbilanz. Denn es ist der zweite, der auf mich zugelassen wird. Ende nächster Woche.
Vorausgegangen ist ein längerer Willensbildungsprozess, der die freundschaftliche Anteilnahme in der näheren sozialen Infrastruktur auf die harte Probe stellt – insbesondere die von Saab-Freund Christoph, der in dieser Sache geschätzte 1.000 SMS beantwortet hatJ. Durch den berufsbedingten Umzug nach Düsseldorf im letzten Winter hat sich meine Jahresfahrleistung locker verdoppelt. Auf Dauer zuviel für den 13 Jahre alten 9-3, finde ich persönlich. Er hat es nicht verdient, auf seine alten Tage als Kilometerfresser abgeschrubbt zu werden. Und ich gestehe: Auch die Lust auf ein neues Auto ist gestiegen. In den letzten Monaten habe ich unzählige Varianten durchgespielt und auch ein paar ernsthafte Gedanken an einen Markenwechsel verschwendet. Ein neuer Volvo C30 stand hoch im Kurs. Fährt sich hervorragend, verbraucht ungefähr nichts. Aber ein Volvo ist kein Saab. Ein neuer Land Rover Freelander gefiel mir nach der Probefahrt ebenfalls ausgezeichnet. Aber ein Land Rover ist kein Saab. Eine neue Alfa Romeo Giulietta ist für mich gegenwärtig eine der schönsten Karossen, die neu vom Band rollt. Aber ein Alfa Romeo ist kein Saab. Sogar über einen neuen VW Golf habe ich nachgedacht. Denn die Pressekonditionen von Volkswagen sind unschlagbar, und am Telefon sagen die so Sachen wie „Aber Herr XY, für den Kredit brauchen Sie uns keine Gehaltsabrechnungen schicken. Wir vertrauen unseren VIP-Kunden.“ VIP-Kunde klingt irgendwie gut. Aber ein Golf ist nun wirklich gar kein Saab.
Nachdem ich zu der nüchternen Erkenntnis kam, dass ich schlechterdings keine andere Automarke fahren kann, ohne künftig jedem Saab auf der Autobahn traurig hinterherzugucken, habe ich schließlich alle Optionen verworfen. Besonders nett war allerdings die schriftliche facebook-Reaktion des Alfa Romeo-Verkäufers auf meine Absage: „Hallo Sebastian, ich kann das nachvollziehen! Ich finde deine Loyalität Saab gegenüber vorbildlich! Liebe Grüße, Marco“
Es ist eben einfach so: Man bekommt für gutes Geld viele gute Autos. Aber es sind eben gute Autos, die für andere Leute gebaut werden. Nicht für mich. Und wenn ich gutes Geld für ein Auto ausgebe, dann erwarte ich keine Perfektion, sondern Seele. Also doch wieder Saab. Hilft ja nix.
Der Besuch beim Saab-Händler brachte die überraschende Erkenntnis: Der neue Saab 9-5 kommt aufgrund der absurd hohen Rabatte nahe an die Peripherie meiner finanziellen Möglichkeiten. Aber nach zweimaliger Probefahrt mit dem festen Vorsatz, dieses Auto zu mögen, kam ich zum Ergebnis: Ich mag es einfach nicht. Ich ziehe den Hut vor jedem, der sich einen aktuellen 9-5 bestellt und damit seinen Beitrag zum Überleben unserer kleinen Automobilmanufaktur leistet. Aber ich werde mit diesem Auto einfach nicht warm. Wahrscheinlich bin ich in den letzten Jahren zu einem jener typischen Saabfahrer mutiert, die die Qualitäten eines neuen Saab-Modells erst erkennen, wenn es vom Markt genommen wird. Der aktuelle 9-3 wiederum gefällt mir. Aber als ich mich nach der Probefahrt mit einem 9-3 SportCombi zurück in meinen 13 Jahre alten 9-3 setzte, fragte ich mich: Wo ist der technische Fortschritt, der eine Investition von 28.000 Euro rechtfertigt?
Also doch ein Gebrauchter, zumal ich nicht so recht darauf vertraue, dass der holländische Hochstapler die Bänder in Trollhättan nochmal ans Laufen bekommt (was ich der Firma und ihren Mitarbeitern von Herzen wünsche!).
Ich fuhr mehrere 9-3 SportCombi ab Modelljahr 2008 Probe. Alle fuhren sich gut. Keiner war meiner. Und dann ging es wieder ganz schnell. Am Samstagmorgen der übliche Kontrollrundgang bei mobile.de, keine neuen 9-3, aber ein neuer 9-5 SportCombi drin. 2.3t mit 185 PS als Vector.
Hmm. 9-5? Chrombrille? Joah. Warum eigentlich nicht? Also machte ich mich auf den Weg nach Aachen, und wurde auf dem Hof des Audihändlers fündig. Da stand er, einsam und unverstanden inmitten einer Blechlawine aus mausgrauen Audi A6 in verschiedenen Farben. Zwei Tage vorher vom Vorbesitzer abgegeben und unaufbereitet, so dass er die wahre Geschichte seines Vorlebens erzählte. Aber welches Vorleben? Einzig die zwei vorschriftsmäßigen Stempel im Scheckheft und ein bißchen Straßenstaub kündeten davon, dass dieses Auto nicht frisch vom Band kommt. Die Probefahrt führte mich als erstes in die Waschanlage, um auf dem sauberen Lack auf Schrammensuche zu gehen. Aber hätte es Schrammen gegeben, wären sie mir ab dem Moment egal gewesen, als der Saab frischgewaschen vor mir stand. In sattem Dunkelblau auf 17-Zöllern mit jungfräulichem hellem Leder. Wunderschön. Für mich.
Die anschließende Fahrt über die Autobahn klärte dann endgültig: Das ist mein zweiter Saab. Endlich ein fest verbautes Navi. Endlich ein Tempomat. Endlich Beschleunigung. Endlich ein Becherhalter. Und diese Sitze … Jetzt gilt es nur noch, ein paar Tage ungeduldig auf das Geld von der Bank zu warten. Außerdem kriegt das Auto noch frischen TÜV, eine Inspektion und eine Aufbereitung. Den Namen hat es schon: Die dicke Alma. Uneitel. So wie das Auto.
Und mein erster Saab? Der bleibt. Er bekommt seine eigene Garage daheim im hohen Norden, direkt gegenüber von meinem früheren evangelischen Kindergarten. Verkaufen könnte ich die alte Hillary nicht, sie ist Teil meiner Geschichte. Und außerdem: Irgend jemand muss ja auch mal einen alten Saab 9-3 für das H-Kennzeichen wegstellen. Und sei es ein Konfigurationskuriosum aus dem Frühjahr 1998 mit antiquarischem Saugermotor und serienmäßigem Rasierpinsel.
In grauer Vorzeit habe ich mich zwar schon einmal in diesem Forum vorgestellt. Die passive und aktive Anteilnahme am Geschehen in dieser lustigen kleinen Gemeinde kam dann aber zum Erliegen. Das war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass mein Saab das tat, was ein Saab nun einmal tun soll: Er spulte problemlos und (weitgehend) defektfrei Kilometer ab.
Da aber der Kauf eines neuen Autos zumindest für mich auch immer mit sentimentalen Regungen verbunden ist, schreibe ich nun meine Saab-Geschichte einfach nochmal im Zusammenhang auf.
2007 verschlug es mich nach dem Studium beruflich in die Hauptstadt. Nach einigen Monaten kam ich zu dem nüchternen Entschluss, dass ich kein Auto mehr haben muss, und vermachte meinen alten BMW 316i meinen Eltern. Eine schicksalhafte Fehlentscheidung mit erfreulichen Konsequenzen. Denn nach kurzer Zeit stellte ich fest: Es gibt in Berlin kaum Situationen, in denen ich ein Auto brauche. Dennoch brauche ich unbedingt ein Auto. Beraubt um die Freiheit, am Freitagabend ohne Rücksicht auf irgendwelche Fahrpläne ein paar Klamotten in die Reisetasche zu stopfen und IRGENDWO hinfahren zu können, fühle ich mich im Alltag eingesperrt.
Also begab ich mich auf die Suche nach einem neuen fahrbaren Untersatz. Aber was für einen? Ich saß auf dem Sofa, durchstöberte einigermaßen lust- und ziellos die einschlägigen Internetseiten nach mobilen Gebrauchsgegenständen, und beim Blick auf meinen Haustürschlüssel, an dem seit mehr als zehn Jahren ein Saab-Schlüsselanhänger hing, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich erinnerte mich, wie das damals war, als ich als 18jähriger während des Schülerpraktikums bei einem Saab-Händler in zahllosen fabrikneuen Saab saß, mit der Hand über die Karosserien strich und dachte: „Wenn du erst einmal deinen ersten eigenen Saab hast, dann hast du es im Leben zu etwas gebracht.“ Was blieb, war der Schlüsselanhänger, den ich zum Abschied bekam. Und der erinnerte mich im passenden Moment daran, dass der Zeitpunkt gekommen war, um den alten Traum in die Tat umzusetzen.
Es folgte die übliche Odyssee quer durch die Republik, die viele von Euch kennen. Man besichtigt einen Saab nach dem anderen, und keiner davon ist das, was man gesucht hat. Manchmal aus objektiven Gründen. Manchmal eben nur gefühlt. Und wenn der Richtige einem dann vor die Füße rollt, geht plötzlich alles ganz schnell.
Kapitel eins: Saab 9-3 2.3i SE Automatik 5türig, Erstzulassung 5/98, Zirrusweiß, 146.000km, die alte Hillary.
Die Suche dauerte Monate - bis zum März 2008. Ich kam gerade aus Bremen zurück, wo ich Bekanntschaft mit einem „lückenlos scheckheftgepflegten“ Saab 9-3 gemacht hatte, der seit 40.000 Kilometern kein frisches Öl bekommen hatte. Der mittlerweile geübte abendliche Blick auf die neuen Inserate offenbarte dann ein interessantes Angebot. Saab 9-3 2.3i SE Automatik in Zirrusweiß, Erstzulassung Mai 1998, jungfräuliche 81.000 Kilometer auf der Uhr. Absurde Konfiguration. Absurd niedriger Preis. Zu allem Überfluss stand das Auto bei einem Saab-Händler in … Bremen. Also einmal laut geflucht und zwei Tage später zurück auf die Autobahn.
Es war die ersehnte Saab-Liebe auf den ersten Blick. Der 9-3 war nach dem Tod des Erstbesitzers, seines Zeichens Dozent an der Musikhochschule, noch zwei Jahre auf die Gattin zugelassen, wurde in der Zeit aber kaum noch bewegt. Der Pflegezustand war nahezu makellos. Im Ablagefach zwischen den Vordersitzen befand sich ein Rasierpinsel zum Entstauben des Armaturenbretts und ein Rabattmarkenheft für die Autowaschanlage. Trotz aller kritischen Laienblicke fand ich keinen Grund dafür, warum dieses Auto so billig war. Und es war wirklich billig. Und schön. Also wurde es meins.
Ich denke, fast jeder hat in seiner Autofahrervita ein Auto, das er „nie hätte verkaufen sollen“ - oder ein Auto, das er im Rückblick als „Auto seines Lebens“ bezeichnet. Für mich ist es dieses YS3D-Konfigurationskuriosum aus Bremen. Unter der Haube werkelt der Brot&Butter-Sauger als Erbstück aus dem Saab 9000, von dem man in Trollhättan anno 1998 noch ein paar Restbestände verbaute. Ein Aggregat, bei dem man sich angewöhnt, nach jeder Baustellenausfahrt sofort nach rechts zu lenken, um die ganzen Vertreter-TDIs vorbeiziehen zu lassen.
Er wird ganz konventionell mit dem Zündschlüssel geöffnet, weil er zu den beklagenswerten ersten 9-3 Exemplaren gehört, bei denen die Schweden übersahen, dass ein Auto in der 50.000 Mark-Klasse eine Infrarotfernbedienung haben sollte. Er besitzt die feudale SE-Ausstattung und so ziemlich alles, was laut Aufpreisliste bestellbar war – aber einen Tempomat hielt der Erstbesitzer aus unerfindlichen Gründen für überflüssig.
Wahrscheinlich sind es gerade diese Besonderheiten, die dieses Auto für mich einzigartig machen. Kaum jemand außer mir würde diesen Saab verstehen. Deshalb gehört er zu mir. Und da der Rasierpinsel des Vorbesitzers verpflichtet, habe ich in den vergangenen Jahren auch gelöste 4.500 Euro in Wartung und Reparaturen gesteckt. Richtig kaputt war er nie. Zu reparieren gab es trotzdem manchmal was. Seit 2008 hat mich der 9-3 von Berlin zunächst nach Hamburg und schließlich nach Düsseldorf begleitet. Das HH-Kennzeichen stand ihm mit Abstand am besten. Aber leider kann man seinen beruflichen Lebenslauf nicht immer nach dekorativen Kfz-Kennzeichen planen.
Die Geschichte des Namens habe ich bei meiner ersten Vorstellung schon erzählt. Daher nur kurz: Die alte Hillary wurde in jener Zeit gekauft, als ihre amerikanische Namenskollegin in einer furiosen Aufholjagd mehrere Vorwahlen gegen Barack Obama gewann und großartige Sätze prägte wie: „The race isn’t over until the lady in the pant suit says it is!“ oder „I’m in for the long run.“ Gibt es ein besseres Motto für einen Saab?
Kapitel 2: Saab 9-3 2.0i Automatik Coupé, Erstzulassung 7/98, Kosmosblau, 155.000km, Norbert.
Der zweite Saab folgte im Dezember 2008 und war für meine Eltern bestimmt. Die Suche nach Saab Nummer eins war ein Leidensritual, das nicht nur meinen Enthusiasmus forderte, sondern auch den meines Vaters entfachte. Als wir den weißen 9-3 gemeinsam in Bremen abholten und auf halber Strecke die Plätze tauschten, war klar: Der BMW ist schön, aber er muss weg. Ein Saab ist schöner, also muss er her. Es wurde ein kosmosblauer 98er 9-3 2.0i Automatik, einst bestellt von einem Gymnasiallehrer mit gehobenen Komfortansprüchen, den ich bei einem Kiesplatzhändler in Berlin Neukölln aufgetan hatte (also das Auto, nicht den Lehrer). Scheckheftgepflegt, wenig gelaufen, mit ein paar kleineren Beulen für die individuelle Note, wiederum zu einem unerklärlichen Schleuderpreis. Die Abholung des Autos ist mir in lebhafter Erinnerung geblieben. Denn als Prenzlauer Berg-Insasse überkam mich eine gewisse Beklommenheit bei der Vorstellung, mit einer größeren Summe Bargeld durch eine finstere Ecke von Neukölln zu spazieren. Also stopfte ich mir die Geldscheine in einer Plastiktüte in die Unterhose - und erfüllte beim Bezahlen buchstäblich jedes Klischee, das ein Neuköllner Kiesplatzhändler von einem zugereisten West-Yuppie mit 10405-Postleitzahl haben kann.
Wie auch immer: Genauso wie Saab Nummer eins widerlegte auch Saab Nummer zwei den zwiespältigen Ruf seiner Baureihe. Das Auto hat mittlerweile 155.000 Kilometer abgespult. Dass meine Eltern der Meinung sind, zwei baumelnde Plüsch-Elche an den Lüfterdüsen links und rechts würden den Innenraum optisch aufwerten, ertrage ich stillschweigend. Hauptverantwortliche ist meine Erzeugerin. Und die hat den alten Schweden auch beim ersten Anblick getauft: „Oh, ein Norbert!“
Kapitel 3: Saab 9000 Aero. Erstzulassung 6/96, Schwarz, 340.000km, ein Aero braucht keinen anderen Namen.
Der dritte Saab ließ länger auf sich warten, war ein Zufallsfund und landete schließlich bei meinem Bruder. Ein paar altersschwache Rückschlagventile der Scheibenwaschanlage führten mich im Dezember 2010 in eine Saab-Vertragswerkstatt in der Nähe von Hamburg. Während der Reparatur strich ich über den Hof und entdeckte im hintersten Winkel ein seltenes Exemplar des besten Autos, das Saab nach meiner Meinung je gebaut hat: Saab 9000. Aero. Schwarz. Der einzige Vorbesitzer, Pathologe wohnhaft nahe Elbchaussee, hatte es wenige Tage zuvor für einen neuen Saab in Zahlung gegeben. Der Kilometerzähler zeigte schon stolze 335.000. Aber im emotionalen Rausch nach der Probefahrt und nach einem Blick unter den rostfreien, knochentrockenen Unterboden entschied ich, dass dieses Auto vor dem Export gerettet werden muss, und unterschrieb einen Kaufvertrag. Was ich mit dem Auto anfangen sollte, würde ich mir dann später überlegen. Es ergab sich, dass mein Bruder gerade ein neues Auto brauchte, und so entschloss ich mich schweren Herzens, den Aero ihm zu geben. Schweren Herzens nicht nur, weil ich mich rettungslos in den Wagen verliebt hatte, sondern auch, weil zu allem Überfluss die Erstzulassung auf meinem Geburtstag datiert.
Machen wir die schmerzhafte Geschichte kurz: Wenn ich jemals vor den Saab-Gott treten sollte und dieser zwischen Hölle und Himmelreich entscheidet, brauche ich einen guten Strafverteidiger. Denn trotz aller dezenten Hinweise meinerseits, dass es sich um ein Stück schwedisches Kulturgut handelt, ist der Aero für meine Blutsverwandschaft nur ein Ding mit vier Rädern, das irgendwie fahren soll. Wahrscheinlich hätte ich ihn behalten und wegstellen sollen. Zu spät.
Kapitel 4: Saab 9-5 2.3t Vector SportCombi, EZ 9/2006, Nocturnblau, 37.000km, die dicke Alma.
Der vierte Saab ist nun der Anlass für diese Zwischenbilanz. Denn es ist der zweite, der auf mich zugelassen wird. Ende nächster Woche.
Vorausgegangen ist ein längerer Willensbildungsprozess, der die freundschaftliche Anteilnahme in der näheren sozialen Infrastruktur auf die harte Probe stellt – insbesondere die von Saab-Freund Christoph, der in dieser Sache geschätzte 1.000 SMS beantwortet hatJ. Durch den berufsbedingten Umzug nach Düsseldorf im letzten Winter hat sich meine Jahresfahrleistung locker verdoppelt. Auf Dauer zuviel für den 13 Jahre alten 9-3, finde ich persönlich. Er hat es nicht verdient, auf seine alten Tage als Kilometerfresser abgeschrubbt zu werden. Und ich gestehe: Auch die Lust auf ein neues Auto ist gestiegen. In den letzten Monaten habe ich unzählige Varianten durchgespielt und auch ein paar ernsthafte Gedanken an einen Markenwechsel verschwendet. Ein neuer Volvo C30 stand hoch im Kurs. Fährt sich hervorragend, verbraucht ungefähr nichts. Aber ein Volvo ist kein Saab. Ein neuer Land Rover Freelander gefiel mir nach der Probefahrt ebenfalls ausgezeichnet. Aber ein Land Rover ist kein Saab. Eine neue Alfa Romeo Giulietta ist für mich gegenwärtig eine der schönsten Karossen, die neu vom Band rollt. Aber ein Alfa Romeo ist kein Saab. Sogar über einen neuen VW Golf habe ich nachgedacht. Denn die Pressekonditionen von Volkswagen sind unschlagbar, und am Telefon sagen die so Sachen wie „Aber Herr XY, für den Kredit brauchen Sie uns keine Gehaltsabrechnungen schicken. Wir vertrauen unseren VIP-Kunden.“ VIP-Kunde klingt irgendwie gut. Aber ein Golf ist nun wirklich gar kein Saab.
Nachdem ich zu der nüchternen Erkenntnis kam, dass ich schlechterdings keine andere Automarke fahren kann, ohne künftig jedem Saab auf der Autobahn traurig hinterherzugucken, habe ich schließlich alle Optionen verworfen. Besonders nett war allerdings die schriftliche facebook-Reaktion des Alfa Romeo-Verkäufers auf meine Absage: „Hallo Sebastian, ich kann das nachvollziehen! Ich finde deine Loyalität Saab gegenüber vorbildlich! Liebe Grüße, Marco“
Es ist eben einfach so: Man bekommt für gutes Geld viele gute Autos. Aber es sind eben gute Autos, die für andere Leute gebaut werden. Nicht für mich. Und wenn ich gutes Geld für ein Auto ausgebe, dann erwarte ich keine Perfektion, sondern Seele. Also doch wieder Saab. Hilft ja nix.
Der Besuch beim Saab-Händler brachte die überraschende Erkenntnis: Der neue Saab 9-5 kommt aufgrund der absurd hohen Rabatte nahe an die Peripherie meiner finanziellen Möglichkeiten. Aber nach zweimaliger Probefahrt mit dem festen Vorsatz, dieses Auto zu mögen, kam ich zum Ergebnis: Ich mag es einfach nicht. Ich ziehe den Hut vor jedem, der sich einen aktuellen 9-5 bestellt und damit seinen Beitrag zum Überleben unserer kleinen Automobilmanufaktur leistet. Aber ich werde mit diesem Auto einfach nicht warm. Wahrscheinlich bin ich in den letzten Jahren zu einem jener typischen Saabfahrer mutiert, die die Qualitäten eines neuen Saab-Modells erst erkennen, wenn es vom Markt genommen wird. Der aktuelle 9-3 wiederum gefällt mir. Aber als ich mich nach der Probefahrt mit einem 9-3 SportCombi zurück in meinen 13 Jahre alten 9-3 setzte, fragte ich mich: Wo ist der technische Fortschritt, der eine Investition von 28.000 Euro rechtfertigt?
Also doch ein Gebrauchter, zumal ich nicht so recht darauf vertraue, dass der holländische Hochstapler die Bänder in Trollhättan nochmal ans Laufen bekommt (was ich der Firma und ihren Mitarbeitern von Herzen wünsche!).
Ich fuhr mehrere 9-3 SportCombi ab Modelljahr 2008 Probe. Alle fuhren sich gut. Keiner war meiner. Und dann ging es wieder ganz schnell. Am Samstagmorgen der übliche Kontrollrundgang bei mobile.de, keine neuen 9-3, aber ein neuer 9-5 SportCombi drin. 2.3t mit 185 PS als Vector.
Hmm. 9-5? Chrombrille? Joah. Warum eigentlich nicht? Also machte ich mich auf den Weg nach Aachen, und wurde auf dem Hof des Audihändlers fündig. Da stand er, einsam und unverstanden inmitten einer Blechlawine aus mausgrauen Audi A6 in verschiedenen Farben. Zwei Tage vorher vom Vorbesitzer abgegeben und unaufbereitet, so dass er die wahre Geschichte seines Vorlebens erzählte. Aber welches Vorleben? Einzig die zwei vorschriftsmäßigen Stempel im Scheckheft und ein bißchen Straßenstaub kündeten davon, dass dieses Auto nicht frisch vom Band kommt. Die Probefahrt führte mich als erstes in die Waschanlage, um auf dem sauberen Lack auf Schrammensuche zu gehen. Aber hätte es Schrammen gegeben, wären sie mir ab dem Moment egal gewesen, als der Saab frischgewaschen vor mir stand. In sattem Dunkelblau auf 17-Zöllern mit jungfräulichem hellem Leder. Wunderschön. Für mich.
Die anschließende Fahrt über die Autobahn klärte dann endgültig: Das ist mein zweiter Saab. Endlich ein fest verbautes Navi. Endlich ein Tempomat. Endlich Beschleunigung. Endlich ein Becherhalter. Und diese Sitze … Jetzt gilt es nur noch, ein paar Tage ungeduldig auf das Geld von der Bank zu warten. Außerdem kriegt das Auto noch frischen TÜV, eine Inspektion und eine Aufbereitung. Den Namen hat es schon: Die dicke Alma. Uneitel. So wie das Auto.
Und mein erster Saab? Der bleibt. Er bekommt seine eigene Garage daheim im hohen Norden, direkt gegenüber von meinem früheren evangelischen Kindergarten. Verkaufen könnte ich die alte Hillary nicht, sie ist Teil meiner Geschichte. Und außerdem: Irgend jemand muss ja auch mal einen alten Saab 9-3 für das H-Kennzeichen wegstellen. Und sei es ein Konfigurationskuriosum aus dem Frühjahr 1998 mit antiquarischem Saugermotor und serienmäßigem Rasierpinsel.