Ich bin schon länger ein Freund der Entschleunigung. Pedal to the metal macht keinen Sinn, wenn man sich in Folge noch ein paar Blutdrucksenker mehr einwirft. Das ist aber in unserer Gesellschaft normal, in der nach Schätzungen bis zu 3/4 der Männer unter Bluthochdruck leiden - auch wenn sie das teilweise gar nicht wissen. Der Adrenalin-Kick ist da nicht wirklich zu empfehlen.
Ich mache das schon seit Jahren: Im (meist) offenen Cabrio zu cruisen ist einfach herrlich - und das bedeutet ohne Hektik entspannt zu fahren und es lächelnd und schulterzuckend zu tolerieren, wenn irgendwelche Idioten im Straßenverkehr Aggressionen abbauen wollen, dabei aber tatsächlich immer aggressiver werden und entsprechend schlecht fahren. Man genießt den Tag, die Sonne und Feierabend ist der Weg nach Hause schon Freizeitvergnügen. Der Weg ist das Ziel.
Im geschlossenen Auto fahre ich nach wie vor schneller, z. B. auf dem Weg zur Arbeit. Nicht mehr wie in früheren Jahrzehnten, was die Karre hergibt, aber wo ich - auch im geschlossenen! - Cabrio auch mal 120 oder so fahre, sind es im Kombi 160, 170 oder 180. Trotzdem: Obwohl etwa 2/3 der 33 km einfacher Strecke über die Autobahn führen bin ich nicht schneller am Ziel.
Da ich schon etliche Jahre Cabrios fahre, hat die entspannte Fahrweise im offenen Auto schon deutlich auf meine Fahrweise in den Blechbüchsen abgefärbt, ich fahre auch da merklich entspannter als noch vor 10 oder 20 Jahren. Ich fahre unaggressiver, aber ich leide dennoch: Enspanntes Fahren ist schon irgendwie reizlos. Also drückt man fast unbemerkt das rechte Pedal mehr und mehr durch... Dass ich im Cabrio auf freier Strecke eher 100 bis 120 und im Kombi oft eher 150 bis 200 fahre ist die Folge (*).
Meine ersten 20 Jahre gab es bei freier Strecke nur eine Gaspedalstellung: Bodenblech. Ich denke, das ist für einen deutschen Mann gar nicht so ungewöhnlich. Inzwischen kann ich aber jedem nur empfehlen, das nicht so zu machen. Langsamer zu fahren hat mehr Vor- als Nachteile.
Dass viele Speedfreaks auf Tempolimits wie die Raucher auf das Rauchverbot in Kneipen, Gaststätten und vielen anderen öffentlichen Räumen reagieren hat einen simplen Grund: Es ist ganz ähnlich. Auch die Schnellfahrer würden von angepassten Tempolimits profitieren und nach der Einführung ihre Meinung ändern; die Erde würde sich weiterdrehen und so wie die Leute heute Kneipen ohne Rauch richtig mögen, werden sich die Verfechter des freien Blasens auch eines Besseren belehren lassen: Je gleichmäßiger das Tempo aller ist, desto schneller kommen alle voran.
Gruß Michael
(*) Natürlich habe ich bei Dienstreisen (da zahle ich den Sprit nicht!) auch schon längere Strecken in alter Bodenblechmanier bewältigt, besonders in den gut ausgebauten neuen Bundesländern. So ab und zu macht das Spaß, wenn die mit 200 gefahrenen Abschnitte nicht die schnellen, sondern die langsamen sind, aber lebeswichtig ist das nicht, man kann für die Dienstreise auch einen halben Tag mehr einplanen und dann passt das. Ganz ohne Stress.