Süddeutsche Zeitung: Der Stern von Trollywood
Süddeutsche Zeitung, 16.02.2010, Ausgabe Deutschland, Bayern, München, S. 20
Ressort: Wirtschaft
Der Stern von Trollywood
Victor Muller ist Gründer des holländischen Sportwagenbauers Spyker und chronischer Optimist. Jetzt hoffen viele, dass er Saab vor dem Aus rettet
In Trollhättan, der Heimat des schwedischen Kultautos Saab, geben die Menschen niemals auf. Zwar sind in den vergangenen Jahren viele Firmen geschlossen worden und Tausende Industriejobs verschwunden, doch Zukunftsträume gibt es in der Stadt noch immer. So wurde zum Beispiel vor einigen Jahren mit staatlicher Förderung ein wenig Filmindustrie in alten Fabrikgebäuden angesiedelt, und schon machte der Begriff "Trollywood" die Runde. Seit 2004 gibt es sogar einen "Walk of Fame" im Zentrum, auf dem sich Filmstars verewigen dürfen, wenn sie mal in der Stadt sind. Geträumt wird in Trollhättan im Kinoformat. So ähnlich ist das auch mit Saab. Während die internationale Wirtschaftspresse Nachrufe auf den kleinen Autobauer druckte, sprachen die Menschen in Trollhättan unbeirrt von "Hoffnungsstreifen am Horizont" und der großen Zukunft, die Saab als Luxusmarke vor sich habe.
Vielleicht war es nur eine Frage der Zeit, bis Victor Muller seinen Weg in diese Hochburg des Optimismus fand. Als der Gründer der kleinen niederländischen Sportwagenschmiede Spyker Ende Januar erstmals die Saab-Fabrik besuchte, die GM ihm nach zähen Verhandlungen endlich verkaufen wollte, da schien es fast so, als kehrte er heim. Trollhättan feierte den 50 Jahre alten Holländer wie einen Filmstar. Tausende jubelten ihm zu, entrollten Banderolen mit Sprüchen wie "Victory for Victor". Es war die Freude der ewig Zuversichtlichen. Mit Muller haben die Menschen in Trollhättan ein Idol gefunden, das auch niemals aufgibt.
Bisher hat sich Mullers Zähigkeit ausgezahlt: Am vergangenen Freitag gewährte ihm die Europäische Investitionsbank einen 400-Millionen-Euro Kredit für die Saab-Sanierung, die schwedische Regierung übernahm dafür die Bürgschaft, und am gleichen Tag stimmten die Spyker-Aktionäre seinen Plänen zu. Damit ist der Weg frei für die Übernahme - noch in dieser Woche sollen GM und Spyker den Vertrag unterzeichnen.
Bis vor einigen Monaten war Muller außerhalb seines Heimatlandes wohl etwa so bekannt wie Claes Eriksson, Trollhättans berühmtester Schauspieler und Regisseur. Seine Karriere begann der Saab-Retter 1984 als Anwalt in Amsterdam, später profilierte er sich als Unternehmer. Anfang der 1990er Jahre wurde er durch ein Management-Buyout Teilhaber bei Wijsmuller, einem Schifffahrtsunternehmen.
Im Laufe der Jahre sanierte und verkaufte er dann noch andere Firmen und machte ein Vermögen. 1999 gründete er gemeinsam mit einem Ingenieur die Automanufaktur Spyker, die handgefertigte Edelsportwagen herstellt. Insgesamt 94 Fahrzeuge hat das börsennotierte Unternehmen bislang verkauft. Mehrmals ist die Firma knapp am Konkurs vorbeigeschrammt. Doch Muller hat den Karren immer wieder flott gekriegt.
Der holländische Journalist Robert van den Oever hat mit einem Kollegen ein Buch über Spyker geschrieben. Es trägt den Untertitel "Eine Wahnsinnsfahrt" und durchleuchtet die Geschäfte von Victor Muller durchaus kritisch. Die Sache mit Saab sei typisch, sagt von den Oever. "Muller ist ein PR-Mann, ein sehr guter Verkäufer. Immer wenn er etwas macht, erreicht er damit ein Maximum an Aufmerksamkeit." Ähnlich sei es gewesen, als Spyker 2006 einen Formel-1-Rennstall übernahm. "Die Leute haben gedacht: Das schafft er nie. Aber es gelang", sagt von den Oever. Tatsächlich dürfte Spyker in der Formel 1 eigene Boliden an den Start schicken, ganz in Orange - Holland jubelte. Muller versprach seinen Aktionären, dass nun auch die Gewinne kommen würden, er hoffte auf millionenschwere Sponsoring-Verträge. Zum Schluss war es ein teurer Flop. Ende 2007 übernahm ein indischer Multimillionär den Rennstall mit dem deutschen Fahrer Adrian Sutil - aus "Team Spyker" wurde "Force India".
Der Ausflug auf die Rennpiste wäre fast das Ende gewesen. Aber Muller ließ sich nicht unterkriegen und holte frisches Kapital von der russischen Familie Antonov. Allerdings werden den Antonovs Mafia-Kontakte nachgesagt - weshalb sie nun ihre Anteile an Spyker wieder verkaufen mussten. Denn Saabs Mutterkonzern GM hatte sich geweigert, Geschäfte mit den Antonovs zu machen. Daran drohten zunächst auch Mullers Saab-Träume zu scheitern. Doch es gelang ihm, auch diese Klippe zu umschiffen, er fand neue Geldgeber. Wer genau nun sein schwedisches Abenteuer mitfinanziert, ist nicht vollständig bekannt. Muller hält die Namen seiner neuen Gönner teilweise geheim.
Der Spyker-Chef könne sehr überzeugend sein, sagt Robert von den Oever. "In Mullers Welt ist immer alles fantastisch." Dieser chronische Optimismus hat eine Kehrseite. "Er verliert manchmal die Realität aus den Augen", meint von den Oever. Und Kritik vertrage Muller nicht so gut - da könne er richtig böse werden.
Saab kann einen talentierten PR-Menschen sicher gut gebrauchen, um das angekratzte Image aufzupolieren. Doch um profitabel zu werden, muss Saab vor allem Autos herstellen, die viele Menschen haben wollen. Für diese Aufgabe sei Muller weniger geeignet, meint von den Oever. "Das sollten die Leute bei Saab besser selber in die Hand nehmen." Sollte das Unterfangen gelingen, spendiert Trollhättan dem Medienprofi Muller ja vielleicht irgendwann einen Stern auf dem Walk of Fame für seine tollen Auftritte als Retter. Die Gesellschaft auf diesem Boulevard des Ruhms ist übrigens gar nicht schlecht: Nicole Kidman und Bogart-Witwe Lauren Bacall sind dort auch schon verewigt. Sie waren beide mal zu Dreharbeiten in der Gegend.
Das Zittern um Saab
Seit vielen Jahren kämpft Saab mit sinkendem Absatz, im Jahr 2008 verkaufte das Unternehmen nur noch etwas mehr als 90 000 Fahrzeuge. Mutterkonzern GM, der Saab vor 20 Jahren übernommen hatte, dachte schon lange über eine Lösung nach. Schließlich beschleunigte die Finanzkrise den Abschied: Seit 2008 wird offiziell ein Käufer gesucht. Im Februar 2009 meldete Saab dann Insolvenz an, im Sommer bekundete der schwedische Autobauer Koenigsegg Interesse. Das Unternehmen wollte Saab zusammen mit einer chinesischen Autofirma übernehmen. Doch im November 2009 platzte der Deal wegen Geldmangels. GM hatte schon mit Saabs Abwicklung begonnen, als Spyker Ende Januar doch noch ein ausreichendes Angebot vorlegte - für 75 Millionen US-Dollar will es Saab übernehmen. Am Freitag gewährte die Europäische Investitionsbank einen 400-Millionen-Euro-Kredit für die Sanierung, was als letzte große Hürde für den Abschluss des Verkaufs galt. ghe
Von Gunnar Herrmann