Wenn ich das so lese sollte ich mir mal in USA ein neues Cabrio holen
Flitzfuss hat mich auf eine Idee gebracht:
Warum nur an die Klassiker denken?
Oder irgendwelche Mustangs, Pumas, Jaguar, Hummer, Quallen, Greyhunde, Cougars, Käfer oder so Viehzeugs importieren?
Wenn ich das so lese sollte ich mir fast mal in USA ein neues Saab-Cabrio holen.
Es rettet die Autohändler und günstig scheinen sie zu sein.
DIE WELT, 09.10.2008, Nr. 237, S. 10
Ressort: Magazin
Philipp Neumann und Uwe Schmitt
Die Krise hat viele Gesichter
Was als beinahe abstraktes Spektakel an der Wall Street begann, hat längst die Main Street erreicht: Notizen aus einem gelähmten Land
Von Philipp Neumann und Uwe Schmitt
Der Zahnarzt in einem wohlhabenden Vorort im Westen Washingtons beugt sich über seinen Patienten mit dem entspannten Lächeln dessen, dem niemand widersprechen kann. "Wissen Sie", sagt er, "die Krise ist gut für uns, leider." - "Aaaahhhhggg?", kommt die Nachfrage. "Night Guards", erwidert der Arzt (auf Deutsch nicht Nachtwachen, sondern: maßgefertigte Knirschschienen, Aufbissschienen aus durchsichtigem Kunststoff). "Die Leute mögen am Tag noch Optimismus verbreiten, nachts zerknirschen sie ihre Wut, ihre Angst, ihre Ohnmacht mit den Zähnen." Er warne seine Patienten vor den Folgen, zerbrechende Zähne, zerstörter Schmelz. "Das letzte Mal, dass wir so viele Night Guards empfahlen, war in den Wochen nach dem 11. September 2001."
Warren Buffett hat die Finanzkrise mit Pearl Harbor verglichen. "9/11" käme der Sache und der amerikanischen Psyche inzwischen aber tatsächlich näher. Denn was als beinahe abstraktes Spektakel an der Wall Street begann, hat die Main Street längst erreicht. Das Land liegt in Schockstarre. Nur New York nicht. Die Stadt, die mehr vom Wohlergehen der Wall Street abhängig sein sollte als der Rest des Landes, hat das Glück, von Bürgermeister Bloomberg geführt zu werden. Michael Bloomberg, einst bei Salomon Brothers gefeuert und mit seinem eigenen Wirtschafts- und Finanzdienst zum Milliardär aufgestiegen, hat seherisch die Abhängigkeit New Yorks gemindert. Noch immer ist die Wall Street gut für fast ein Viertel aller Löhne und Gehälter und mehr als ein Viertel des Steueraufkommens, obwohl sie von Juli 2007 bis Juli 2008 bereits 16 000 Jobs und 20 Milliarden Dollar verlor. Doch Michael Bloomberg sorgte vor. Im Haushalt der Stadt, die gesetzlich zur Ausgeglichenheit des Etats verpflichtet ist, ist ein Rückgang der Steuereinnahmen um sechs Prozent eingerechnet. Die Anrainerstaaten New York und New Jersey setzten auf Zuwächse und sind hoch verschuldet. Sie brauchten einen Michael Bloomberg, der die Stärken wie die Sünden der Wall Street kennt. Er will für eine dritte Amtszeit in New York kandidieren. Seine Stadt wird ihm die Füße küssen.
Die Bank Washington Mutual, die vor Kurzem vom Konkurrenten JP Morgan Chase vor der Pleite gerettet wurde, scheint ihr Schicksal mit Humor zu tragen. An der "WaMu"-Filiale in der California Street in San Francisco hängt jedenfalls ein rosa Zettel: "Wir mögen Chase. Nicht nur, weil sie drei Milliarden Dollar haben." Es folgt das Versprechen einer tollen, neuen Zukunft, denn künftig könnten die Kunden noch mehr Geldautomaten und noch mehr Filialen nutzen. Ob das die Kunden von Morgan Chase auch so lustig finden? Es sind ihre Geldanlagen in Höhe von drei Milliarden Dollar, mit denen die fast pleitegegangene Konkurrenz wirbt.
In Zeiten, in denen anderen Leuten das Haus unter dem Hintern weggepfändet wird, ist Peter Lee eine Ausnahme: Der Manager ist Besitzer von zwei Häusern. Genau das ist jetzt aber sein Problem. Lee, der im Geschäft mit Krankenversicherungen tätig ist, möchte eines der beiden Häuser gern verkaufen. "Aber die Leute kommen noch nicht einmal gucken", sagt er. "Die rufen nur an, und das war's dann." Bisher hat er in Sausalito gewohnt, am östlichen Rand der Bucht von San Francisco. Jetzt ist er an den westlichen Rand gezogen, nach Berkeley. 800 000 Dollar will er für sein altes Haus haben, aber niemand will so viel Geld zahlen. "Die Telefonate sind sehr schnell zu Ende", sagt Lee. Jetzt überlegt er sich, ob er das Haus für weniger Geld verkauft oder ob er es ganz vom Markt nimmt und es im Frühjahr noch einmal versucht. Gute Häuser in guten Gegenden seien noch immer ihren Preis wert, meint Lee. Der Markt sei nur im mittleren und unteren Preissegment kollabiert. Wer eine Immobilie für unter 500 000 Dollar gekauft habe, mache jetzt auf jeden Fall Verlust. Das seien die Häuser, die vor einigen Jahren mit billigen Krediten gekauft worden seien und jetzt zwangsversteigert würden. "Ich mache mir um mein Haus und um mich keine Sorgen."
"Risiko-Toleranz" ("risk tolerance") sollte zum amerikanischen Unwort des Jahres gewählt werden. Es bezeichnet all die Krisenverlierer, die sich übernommen haben. Bei Richard Fuld, dem in den letzten acht Jahren mit 480 Millionen Dollar entgoltenen CEO von Lehman Brothers, erreichte die Risiko-Toleranz vor dem Bankrott der Investmentbank ganz andere Dimensionen. Noch Tage vor der Pleite bewilligten sich er und die Vorstände Bonuszahlungen in dreistelliger Millionenhöhe. Als Fuld vor dem Kongressausschuss diese gehobene Abzockermentalität erläutern und rechtfertigen sollte, wurde er kleinlaut. Reue äußerte er jedoch nicht. Eher Unverständnis, warum Lehman Brothers nicht vom Bund gerettet wurde wie andere. Man soll es fürchten und verachten, aber sich nicht wundern, wenn entlassene Broker demnächst mit Schrotflinten an ihrem alten Arbeitsplatz auftauchen. Oder auf irgendeinem Golfplatz, wo Richard Fuld seinen Ruin genießt.
Mit dem Finanzsektor wollte Ed Sheppard eigentlich nichts mehr zu tun haben. Im Sommer kündigte er seinen Job bei einer Investmentbank in San Francisco, ließ sich seinen Bonus auszahlen, arbeitet seither für die Politik. Ed macht Wahlkampf für die Republikanische Partei - für John McCain und für eine regionale Kandidatin, die ins kalifornische Parlament will. Doch so schnell kann er der Finanzkrise nicht entkommen. "Ich wollte meine Wohnung kündigen und einfach nur umziehen", sagt er. "Es war aber der helle Wahnsinn, was die neuen Vermieter alles für Nachweise sehen wollten, dass ich meine Miete zahlen kann." Entnervt hat er seinen alten Mietvertrag um ein weiteres Jahr verlängert. "Mal sehen, was in einem Jahr ist."
Auf Shorts gibt es 25 Prozent Rabatt, auf Pullover 30 Prozent und auf Hosen 40 Prozent - und der Riesenladen der Modekette Banana Republic nahe dem Union Square in San Francisco ist trotzdem ziemlich leer. Das Designer-Label Kenneth Cole nebenan will offiziell erst nächste Woche mit dem Schlussverkauf beginnen. "Kein Problem", sagt der Verkäufer schon jetzt. Und gibt 25 Prozent auf die brandneue Kollektion.
Dass das klar ist: Ihr Nachname komme nicht in die Zeitung, sagt Rebecca. Nicht bei einem Krisenthema. Es gehe ihr noch gut, sagt sie. Noch. Aber für die nächsten Monate schwant ihr nichts Gutes. Der Stapel mit Aufträgen sei so klein wie seit zehn Jahren nicht mehr. Dabei operiert Rebecca im vermeintlich krisensicheren Raum: Sie verkauft Luxus fürs Schlafzimmer. Teure Federbetten, Kopfkissen und so weiter. Ihr kleiner Laden im Osten von San Francisco ist voll gestopft damit. Hier drinnen ist es eigentlich viel zu flauschig für eine Krise. Luxus habe eine konstante Konjunktur, sagt sie. Die Leute würden auch in der Krise Sex haben, und dafür brauche man ein schönes Bett. Aber so einfach ist es nicht. Die großen Hotels, die oft ganze Kissenberge ordern, die seien zurückhaltend geworden, sagt sie. Aufträge seien noch nicht storniert worden. Aber es ging bisher alles nicht schnell genug. Jetzt stehen alle auf der Bremse und überlegen lieber zweimal. Das Weihnachtsgeschäft werde zeigen, wie ernst die Lage wirklich sei.
Am Tag, bevor Annette Yang in der vergangenen Woche ihr neues Restaurant eröffnete, erlebte die New Yorker Börse den größten Tagesverlust ihrer Geschichte. Kein gutes Zeichen, fand auch Yang - und öffnete trotzdem. "Das war so ziemlich der schlechteste Zeitpunkt überhaupt", sagt sie. "Aber die Leute müssen essen." Und von ihrem Konzept ist sie überzeugt: "Es ist das richtige Restaurant - locker und gemütlich. Ein Platz, den man ansteuert, wenn man das Gefühl hat, kein Geld zu haben." Ein bisschen gefüllt darf der Geldbeutel aber schon sein, denn "Nettie's Crab Shack" ist alles andere als eine billige Krabbenbude. Es ist ein ziemlich schickes Esslokal auf einer ziemlich schicken Einkaufsstraße, der Union Street, im Norden von San Francisco. Außerhalb von Krisenzeiten könnte Yang die Preise sicher noch ein bisschen anheben. Jetzt aber, sagt sie, wolle sie den Leuten vor allem Abwechslung bieten: "Hier soll es auch in harten Zeiten gutes Essen, gute Gespräche und Gemütlichkeit geben."
Die Künste, karitative Gruppen, Kirchen, Krankenhäuser in den USA verlieren die Großzügigkeit ihrer Spender. Darunter ist auch "Essen auf Rädern" ("Citymeals-on-wheels") in New York. Im Frühjahr, als Bear Stearns den Bärentod an der Wall Street starb, platzte ein Scheck über eine halbe Million Dollar. Einige Tage darauf folgte ein Hedgefonds, der für die Hälfte der Summe bürgte. "Citymeals" kam unter die Räder; es konnte seinen alten Kunden zeitweilig nur noch eine warme Mahlzeit am Tag bringen. Mit zwei Essen rechneten sie. Darunter etliche, denen die Weltwirtschaftskrise 1929 eine konkrete, nicht eine abstrakte Erinnerung ist. Sie können leicht zu den Unglücklichen zählen, denen die Energieunternehmen des Staates New York in diesem Sommer Strom und Gas abstellten, weil sie ihre Rechnung nicht bezahlt hatten. In New York stieg diese Zahl um 17 Prozent, in Michigan um 22 Prozent an. Erst kommt das Essen, dann die Miete, sogar das Benzin, wenn sie arbeiten und pendeln müssen, dann der Strom. Im November 2007 starben in Toledo (Ohio) drei Kinder und ihre Mutter in den Flammen ihrer Wohnung. Eine brennende Kerze war umgefallen. Der Strom war schon Tage abgeschaltet. In diesem Winter wird es für viel mehr Familien brenzlig.
Selbst wenn das Brot knapp wird, die Spiele sterben in New York zuletzt. So scheint es, wenn man die Rekordeinnahmen am Broadway bestaunt. 218 000 Besucher fluteten in der Woche, die am 5. Oktober endete, in die Theater, um "Hairspray", "Legally Blonde" und die anderen zu sehen. Die Einnahmen stiegen im Vergleich zu derselben Woche 2007 um 600 000 Dollar auf 16,6 Millionen Dollar. Es heißt, ein entscheidender Grund für den Rekord liege in der Tatsache, dass in diesem Herbst 31 Stücke laufen, vor einem Jahr waren es 25. Aber vielleicht ist es doch auch der Geist der Stadt, die im übrigen Land so innig hassgeliebt wird. Jetzt erst recht. Die Bank of America finanziert noch immer (oder noch einmal) Shakespeare im Park des Theaters The Public. Die Truppe hatte ihr Spendeneinwerben Ende August abgeschlossen. Im Etat war ein 10 000-Dollar-Scheck von Lehman Brothers. Timing ist alles. Im Theater. Und in Wirtschaftskrisen.
Eric Grover ist ein Mann, den so schnell nichts umhaut. Nicht, weil er eine kräftige Statur hätte, im Gegenteil: Er ist ziemlich hager. Grovers Stärke liegt eher in der Psyche. Seine Firma heißt dann auch "Intrepid Ventures", was man in etwa mit "Mut zum Risiko " übersetzen kann. Grover berät von Palo Alto aus Banken und Finanzfirmen, zurzeit kämpft er als Lobbyist der Kreditkartenbranche gegen staatliche Regulierung. "Wenn jemand von der Finanzkrise betroffen ist, dann bin ich das", sagt er. Nicht nur weil die Regierung in Washington massiv in den Finanzmarkt eingreife. Die Geschäfte liefen nicht rund derzeit, die Banken seien mit sich selbst beschäftigt. "Der September war schlimm, mir sind einige Kunden abgesprungen." Weil er keine Angestellten habe und nur für sich selbst verantwortlich sei, könne er zwar noch einige Monate durchhalten, sagt Grover. Dann aber müsse er sich ein neues Thema suchen. "Dann schreibe ich Artikel in Fachzeitschriften und empfehle dringenden Beratungsbedarf in dieser Angelegenheit."
Eine jüdische karitative Einrichtung für ältere Mitbürger in Montgomery County (Maryland) bietet schon eine Weile Computertraining für Rentner mit weniger als 13 000 Dollar Jahreseinkommen an. Seit Neustem kommt Berufsberatung hinzu, und es gibt eine Warteliste. Die steigenden Nahrungsmittel- und Benzinpreise haben den knapp kalkulierten Etat vieler alter Menschen über den Haufen geworfen. Das Geld geht ihnen vor dem Monatsende aus. Sie müssen wieder versuchen zu arbeiten, es ist ihr einziger Ausweg. Sie sind eifrig, fleißig, geduldig, langsamer vielleicht, aber unendlich lebenserfahren. Bei Bewerbungen haben sie nur einen Nachteil: Ihre Mitbewerber sind 30 bis 40 Jahre jünger. Die Krise spült sie in eine Welt zurück, die sie lange hinter sich gelassen hatten.
Der Listenpreis für einen Saab 9-3 mit 210 PS liegt in Deutschland ohne Mehrwertsteuer bei rund 30 000 Euro. John Brooks, Saab-Händler an der Van Ness Avenue, der Automeile in San Francisco, verkauft ihn netto für etwas mehr als die Hälfte. Mit Rabatten jenseits von Gut und Böse versuchen Amerikas Autohändler zu überleben - oft vergebens.
Denn auch wenn die Kunden wollen, können sie nicht immer: "Die Banken geben nicht mehr so einfach Kredit wie früher", sagt Brooks. "Uns gehen pro Monat ungefähr fünf Verkäufe durch die Lappen, weil die Kunden kein Geld von ihrer Bank bekommen. Noch vor ein paar Monaten waren es nur zwei Vertragsabschlüsse." Weil das so ist und weil bei der ohnehin strauchelnden US-Wirtschaft viel weniger Leute ein neues Auto kaufen wollen, gehen immer mehr Autohändler pleite. Allein in der vergangenen Woche waren es in der Umgebung von San Francisco drei. Erwischt hat es auch den Chevrolet-Händler in Los Gatos, südlich von San Jose. "Wir konnten nicht mehr weitermachen", sagt Chris Spencer, Geschäftsführer und Inhaber. "Jetzt sind 35 Leute ohne Job, meine Familie eingeschlossen."
fotos: afp (2); laif; reuters