Feuerlöscher und Arbeitshandschuhe gegen das Grauen

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Hi,
am letzten Freitag, den 16.02., abends gegen 22.00 Uhr war es soweit. Meine Hoffnung, das mir sowas nie passieren würde, wurde wahr.

Auf der Rückfahrt von Frankfurt auf der A3 fuhr ich kurz vor Montabauer durch ein Schlachtfeld von demolierten Autos, herumliegenden Teilen, glitzernden Glasscherben und wild herumhüpfenden Menschen.

Ich hielt sofort an und fragte, ob schon jemand die Polizei gerufen hätte. Jemand antwortete mit nein. Ich sagte nur: "Ich mache das", fuhr rechts ran und rief den Notruf.
Verletzte schien es nicht zu geben.

Gerade von einem Vorstellungsgespräch kommend- im "passenden" hellen Anzug - ging ich die Unfallstelle ab.

Jemand weigerte sich, die Unfallstelle mit einem Warndreieck zu sichern.

4 Autos waren beteiligt, teilweise stark zerstört. Das erste Fahrzeug lag ca. 100m weiter vorne, irgendwie völlig unbeachtet.

Neben mir hielt noch ein Porsche. Ein junger Mann stieg aus und ging mit mir zum ersten Fahrzeug. Wir sahen zuerst, dass der Vorderwagen halb abgerissen war. Beide Türen waren verschlossen. Die Marke des Fahrzeugs war nicht mehr zu erkennen. Alle Reifen waren platt oder weg. Ich ging an einem auf der Fahrbahn liegenden Lenkrad mit allen Hebeln dran vorbei, der junge Porschefahrer ein kleines Stück vor mir. Er schaute zuerst in den Wagen und rief: "Hier liegt noch jemand drin."

Wir versuchten sofort, die Fahrertür zu öffnen, aber diese war völlig eingedrückt und verklemmt.

Wir liefen auf die Beifahrerseite und versuchten die Tür zu öffnen, aber der Griff bestand nur noch aus scharfen Kanten. Der Porschefahrer versuchte durch das zerborstene Seitenfenster den Innengriff zu erreichen, das klappte. Gemeinsam konnten wir die Tür mit ruckartigem Ziehen öffnen.

Innen im Wrack lag ein Mann quer über beide Vordersitze. Die Beine waren zwischen der Fahrertür und dem Fahrersitz verklemmt, Gesicht und Hände waren blutig. Das Lenkrad und ein Teil der Armatur waren herausgerissen. Der Mann lebte noch und schaute mich mit leeren Augen an, reden konnte er nicht. "Wir holen sie gleich heraus, Hilfe ist unterwegs", sagte ich. Ich griff nochmal zum Handy, und rief wieder den Notruf. "Nochmal zur Lage am Unfallort an der A3. Ein Schwerverletzter eingeklemmt im Auto. Wir benötigen Feuerwehr und Notarzt." In dem Moment fing der Wagen an zu brennen. "Beeilen Sie sich, schnell, schnell, der Wagen brennt, schnell !!" rief ich noch ins Telefon und legte auf, um wieder zu helfen.

Zu zweit mit dem Porschefahrer versucht ich, den Mann aus dem Auto zu ziehen. Andere Passanten kamen hinzu, um mit Jacken die Flammen zu ersticken. Aber die Flammen ließen sich nicht ersticken und der Mann hing mit den Beinen fest. Die Flammen hatten den Innenraum und beinahe den Mann erreicht, als ein weiterer Passant angelaufen kam und mit einem Feuerlöscher die Flammen erstickte.

Ich fragte nur, wo er den Feuerlöscher her habe und er sagte: "Aus meinem LKW, jeder hat einen dabei."
"Sie haben gerade ein Leben gerettet", sagte ich und klopfte im voller Freude auf den Rücken. Sekunden zuvor war ich noch in völliger Panik und fand mich derart hilflos.

Wir kümmerten uns dann weiter um den Verletzten, redeten ihm gut zu, damit er wach blieb.

Dann hörte ich die Sirenen, die aber kaum näher kamen. Ich lief zur mittleren Fahrbahn, räumte Wrackteile weg und gab dem ersten Auto Zeichen, durchzufahren. Dann dem nächsten Fahrzeug u.s.w., damit der Stau sich soweit auflöste, dass die Polizei und Feuerwehr schneller durchkamen. Die halten Dich bestimmt für bescheuert, dachte ich mir nur. Du stehst hier mit Deinem Anzug und scheuchst Autos auf einer dreispurigen Autobahn an der Unfallstelle vorbei. Der Lärm der anfahrenden LKWs kam mir unbeschreiblich laut vor, außerdem war es richtig kalt.

Einige Minuten später war die Feuerwehr mit Schneidgerät und starken Scheinwerfern vor Ort und schnitt die Fahrertür raus. Die Beine und Füsse des Verletzten, die man jetzt sehen konnte, waren völlig verdreht und geborsten. Dann kam der Notarzt, die Rückenlehne des demolierten Fahrzeugs flog raus und der Sanitäter setzte sich auf die Rücksitzbank.

Ich stellte mich mit dem Porschefahrer einige Meter weg und beobachtete das professionelle Tun der Einsatzkräfte.

Als wir sicher waren, das unsere Hilfe nun überflüssig war, gingen wir zu unseren Autos, um weiterzufahren - beide völlig erledigt.

Auf der langsamen Heimfahrt dachte ich nur daran, dass wir ohne einen Feuerlöscher ziemlich aufgeschmissen waren, der Mann wäre elendig verbrannt.

Zu Hause war ich noch lange wach. Einige Grappa später stöberte ich im Internet nach dem Unfallbericht. Ich wurde fündig. Um 0:47 war "nur" von einem Verletzten die Rede und von Ersthelfern, die das Feuer des brennenden Fahrzeugs löschen konnten.

Ich konnte es nicht.

Warum hat nicht jedes Auto serienmäßig einen Feuerlöscher dabei, dürfte doch bei hohen Stückzahlen nur ein paar Euro ausmachen? Arbeitshandschuhe wären auch nützlich gewesen, da das scharfkantige Blech kaum zu greifen war. Und so ein Hammer, wie man ihn in Bussen zum Einschlagen der Scheibe findet. Sollte man sowas nicht im Auto haben?

Das man sowas nie brauchen würde, habe ich bis Freitag immer geglaubt.

Viele Grüsse

Thomas

PS: Sorry, aber ich mußte mir das von der Seele schreiben.
 
du darfst stolz auf dich sein!

es mag platt klingen, doch du kannst wirklich stolz auf dich sein. ich kann sehr gut verstehen, dass du dir dieses traumatisierende erlebnis von der seele reden oder schreiben musstest.


du hast in diesen ersthelferakt genial gemeistert, trotz der vielen komponenten von stress, aufregung und möglicherweise differenziertem schock. das kann nicht jede/r!



du hast leben gerettet. DANKE!
 
deine Bericht macht mich schon sprachlos ..
 
Daumen hoch!!!

über so eine Tat muss man sprechen.. ich so etwas auch schon 2mal hinter mir..
ist zwar schon einige Jahre her, aber vergessen tut man es nicht...

mir läuft auch der Schauer jetzt noch über den Rücken...
bei einem Unfall hatten jemand einen Feuerlöscher dabei..
vor 10 Jahren!!
da war das noch weniger üblich als jetzt.. leider funktionierte er nicht..
der Man ist im Auto verbrannt.. wir haben ihn nicht rausbekommen...

ich hab auch immer einen bei! hoffentlich funktioniert er wenn ich ihn brauche!
 
Der absolute Horror! Aber ganz toll reagiert und agiert habt ihr!

Neben der von racinggreen angesprochenen Ausrüstung wäre auch zu überlegen, ob man nicht periodisch sein 1. Hilfe-Wissen auffrischen sollte. Bei mir ist das über 20 Jahre her.....
 
Zum Glück bin ich noch nie in so eine Situation gekommen.
Einen Feuerlöscher (kleines Modell) und die Handschuhe hätte ich aber im Auto.
So ein Nothämmerchen mit Gurtschneider wollte ich schon paarmal erstehen, teilweise gabs die sogar als Werbegeschenke...

Aber gut das Du mich dran erinnerst. Ich muß mal nach der Haltbarkeit des Löschers schauen. Die sollten alle x Jahre mal überprüft werden...

Ansonsten "Gratulation" zur Vorgehensweise. Auch wenn ich mir die lieber sparen würde, dann wäre nämlich nichts passiert.

EDIT: Als "Belohnung" sollte aber bitte was aus dem Bewerbungsgespräch geworden sein. ;)
 
Über einen Löscher hab ich auch schon nachgedacht.......das nachdenken hat ein Ende gefunden. Ich werde mir welche zulegen!!Einen für den 9³ und einen für den 901.
 
Gerade mal nachgesehen... Ein Menschenleben für 14,99€ (ATU Preis für nen Feuerlöscher 1kg).
 
Gut, dass Du mich erinnerst. ich wollte mir auch einen kaufen...
Als later Feuerwehrmann ;)
Und danke für Deine Zivilcourage.
/To
 
Man denkt immer, das passiert nur anderen. Ist weit weg. Und plötzlich faßt es einen an. Der Bericht macht betroffen. Heftig das. Und gut, mal aufzuwachen...
 
horror pur!
und ja, sei stolz auf dich (kann nur diva völlig zustimmen)!

desweiteren sei stolz auf dich - allein dafür, dass du dies hier rein
geschrieben hast - würde auch nicht jeder tun.....
und damit rettest du in zukunft vielleicht noch weitere menschenleben,
denn damit - denke ich - rüttelst du bestimmt einige wach!!!!!

wenn ich nicht erst kürzlich einen feuerlöscher gekauft hätte, würde
ich jetzt alles stehen und liegen lassen und das jetzt sofort nachholen.....
 
Gerade mal nachgesehen... Ein Menschenleben für 14,99€ (ATU Preis für nen Feuerlöscher 1kg).

Ich würde immer die 2KG Ausführung empfehlen. Bei 1KG darfst du dir keinen Fehler beim Löschen erlauben, das Ding ist ruckzuck leer.

Hochachtung an Racinggreen, ich hoffe, wenn ich sowas mal erleben muss, daß
ich auch das Richtige tue.
 
Beide Daumen nach oben!! Und Hut ab!!! Und Schande über mich, ich habe auch noch keinen Feuerlöscher an Bord. Und das trotz der Tatsache, dass ich auch jedes Jahr 30 - 40 TKm unterwegs bin.
Ja, Du hast mich wachgerüttelt und ich werde so schnell wie möglich einen Feuerlöscher kaufen und unter meinem Sitz verstauen. Ich fahre zwar einen SAAB, aber so etwas kann jedem von uns passieren. Dabei ist es vollkommen egal, ob wir Opfer oder Helfer sind!!!


Nachdenkliche Grüsse
poorwillie
 
Und immer schön in die "Quelle" des Brandes sprühen nicht in die Flammen selbst.
Und besser nicht auf einen brennenden ZylKopf halten... Brennendes Metall lässt man besser brennen... aber auf keinen Fall mit Wasser löschen!

/To
 
Das ist bestimmt keine schöne Erfahrung die Du da machen mußtest!

Ich selber arbeite im Rettungsdienst und freue mich jedesmal, wenn wir zum Unfallort kommen, jemand schon angehalten hat, ausgestiegen ist und hilft. Das kommt leider sehr selten vor!

Auch wenn mal als "Ersthelfer" nicht viel machen kann, erzählen mir viele Patienten später im Rettungswagen, dass sie froh waren, dass jemand da war. Sei es, dass man einfach nur mit dem Betroffenen redet, oder nur seine Hand hält.

Das mit dem Feuerlöscher hab ich mir auch schon öfters überlegt. Aber wie sooft ist das in die Vergessenheit geraten.
Wie Kevin schon schrieb, demnächst kommt in jedes Auto ein Löscher! In der Hoffnung, dass wir alle den nicht benutzen müssen!!!
 
Respekt!
Ich weiß, was ich morgen nach der Arbeit als erstes mache.
 
Moin,

schon das Lesen löst heftige Vorstellungen von der Unfallstelle und der Situation aus.

Racinggreen, das hast du supertoll gemacht :congrats::congrats::congrats:

Vor allem das darüber schreiben und reden ist wichtig. Alle die das bisher gelesen haben, sind sicherlich tief berührt.

Auch ich werde einen Feuerlöscher auf meinen Einkaufszettel fürs Wochenende setzen. Arbeitshandschuhe habe ich immer im Auto.

Danke für den Thread.:smile:
 
Kann mich den anderen nur anschließen. Super reagiert! Und denke bitte immer daran, dass ihr zusammen ein Menschenleben gerettet habt. Es ist keiner ernsthaft zu Schaden gekommen und das ist das wichtigste!

Zu deinem eigenen Schutz, rede mit so vielen Menschen wie möglich darüber. War, wie bei deinem Handeln an der Unfallstelle, die absolut richtige Entscheidung, dass hier nieder zu schreiben.
Aber scheue im Notfall auch nicht von einem Gespräch mit einem Psychater zurück. Das klingt bescheuert, ist aber wirklich wichtig um einem Trauma vorzubeugen. Und sag dir immer wieder, dass ja keiner getötet wurde...es leben alle noch!
Sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen so ein Erlebnis. Das Gehirn hat für die Bilder zum Glück eine Schutzfunktion. Ganz schlimme Dinge werden einfach ausgeschaltet...leider fehlt dieser Schutz bei unserem Gehör. (Hast du ja selber beschrieben mit den LKWs. Und so laut ist ein LKW eigentlich nicht) Deswegen bleiben Geräusche immer ungefiltert haften.

Zu den Feuerlöschern: Da stimme ich dir vollkommen zu. Sowas sollte in jedes Auto! Wenn nicht sogar zweifach!
 
Danke für den Einsatz, den persönlichen Bericht (mir steht die Gänsehaut auf) und die Hinweise! Ich bin diverse Male an Unfällen vorbeigefahren, wo bereits genügend Helfer im Einsatz waren. Und habe jedesmal gehofft, nicht das nächste Mal "dran" zu sein, weder als Unfallbeteiligter oder als Ersthelfer.

1972 (!) hatte ich in meinem ersten Auto, einem Käfer Bj. 57, einen Feuerlöscher. Das Auto ist nach einem, von mir verschuldetem Unfall, mitsamt dem Löscher in Wien verschrottet worden. Seit dem - und mehr als 20 Autos später - habe ich keinen Feuerlöscher mehr! Das wird sich ändern ....
 
Kann mich dem Rest nur anschliessen!!

Auch ich habe einen Feuerlöscher im Auto, muss aber gerade gestehen das ich keine Ahnung habe wann der mal geprüft werden muss......

Meine befürchtung ist nur das wenn ich mal an eine Unfallstelle mit mehr oder weniger viel Blut komme nicht in der Lage bin zu helfen......2/3 der Sanitätsausbildung (dauer 1 Tag) habe ich selber im San-Bereich verbracht da mich mein Kreislauf verlassen hat....:redface:....Ich hoffe aber das wenn es mal zum Fall der Fälle kommt das der Adrenalin-Spiegel das "ausbügelt"




Ich fahre ja nun auch Motorrad und selbst dafür habe ich mir eine kleine Verbandstasche gekauft. Ich kann es auch nicht verstehen warum das in Deutschland für Motorräder keine Pflicht ist. In Östereich ist das mitführen einer Verbandstasche vorgeschrieben.......
 
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