Andreas Theyssen - Abwrackprämie auf den Schrott!
Die 2500 Euro für alte Autos sind Wahnsinn, weil sie die Besitzer dem blanken Psychoterror aussetzen. Dabei ist der Kauf eines Neuwagens reine Geldvernichtung - wegen des Wertverlusts im ersten Jahr.
Die einzige Gewissheit, die es in Zeiten der Weltwirtschaftskrise noch gibt, ist: Es gibt keine Gewissheiten mehr. Großbanken können einfach nicht pleitegehen, dachten wir unser Leben lang. Dann trat Lehman Brothers von der Bühne ab, und zwar mit einem Spektakel, das wir eher von den Blues Brothers kannten.
In der Bundesrepublik ist Privateigentum heilig, dachten wir immer. Und nun brütet der Bundesfinanzminister gerade über Plänen, wie er Aktionäre von wackelnden Banken enteignen kann.
Nur wer zu viel Geld hat, kauft sich einen Neuwagen, denn der Wertverlust vor allem im ersten Jahr ist die blanke Euro-Vernichtung. Dachten wir immer. Da kann man sich ja gleich ein Segelboot zulegen. Denn der Besitz eines Segelboots muss gleichgesetzt werden mit Unter-die-Dusche-Stellen-und-100-Euro-Scheine-Zerreißen. Vulgo: der blanke Wahnsinn.
Auch diese Neuwagen-Gewissheit ist nun perdu. Neuwagen kaufen, Neuwagen kaufen, Neuwagen kaufen, raunt es in diesen Tagen von allen Seiten. Und unsereiner, Besitzer eines Altautos, ist permanentem Psychoterror ausgesetzt. Wir werden unseren Anwalt kontaktieren müssen, um uns nach den Erfolgsaussichten einer Schmerzensgeldklage gegen Angela Merkel zu erkundigen.
Golf für die Formel 3
Zur Lage: Wir fahren einen Golf, 13 Jahre alt, knapp 130.000 Kilometer auf dem Tacho. Für einen Wagen aus deutscher Produktion ist das wahrlich nicht viel. Ein Bekannter hat seinem Passat Kombi 350.000 Kilometer entlockt, und immer wieder stoßen wir auf Taxifahrer, die ihren Mercedes gen 500.000er-Marke prügeln.
So weit das Vernunftargument. Nun kommt auch noch das emotionale dazu, dem wir deutschen Autofahrer angeblich ja so anhängen. Unser Golf ist ein wenig anders als die anderen Golfs. Auf der Autobahn (auf der wir leider nur ganz selten sind) können wir locker die untere Hälfte der BMW-Produktion abhängen. Und ganz besonders lieben wir Besuche in der Waschstraße. "Entschuldigung, ist das ein GTI?", fragen dort regelmäßig die migrationshintergründigen Mitarbeiter. Antwort: Nein. "Aber dann ist es ja ein ..." Wissendes Kopfnicken. Es ist schön, in diesen harten Zeiten Bestätigung zu finden, und inzwischen ist uns wurscht, wofür wie sie bekommen. Jedenfalls stammt der Wagen aus einer Zeit, als irgendein Irrer in Wolfsburg beschloss, ein Golf müsse auch in der Formel 3 mitfahren können, und einen Sechszylindermotor in den Kleinwagen stopfen ließ. Kurzum: Wir waren eigentlich recht zufrieden mit unserem Altauto. Dann kam die Abwrackprämie.
Es beginnt recht harmlos auf einer dieser Wir-sind-alle-unglaublich-wichtig-Journalistenpreisverleihungen. Die Prämie sei Schrott, entfährt es an unserem Tisch der Berlin-Repräsentantin eines süddeutschen Herstellers. Von dem Geld würden doch nur die billigen asiatischen oder osteuropäischen Autobauer profitieren, nicht aber die meisten deutschen, klagt sie. Das sehen wir auch so und schreiben die Abwrackprämie ab.
Ein paar Tage später in der italienischen Botschaft. In der Pause zwischen einer Rede von Italiens Nudelkönig und dem Auftritt der Liz-Mohn'schen Nachwuchsopernsänger treffen wir beim Prosecco auf einen Mercedes-Mann. Na, von der Abwrackprämie haben Sie ja wohl nichts, höhnen wir. Das würde er so nicht sagen, meint er. Die Prämie gebe es schließlich auch für Leasingfahrzeuge, und die Aussicht, vom Staat ein Jahr lang die Leasingraten finanziert zu bekommen, locke durchaus Kunden in die Salons. Ein Jahr gratis - wir sind zwar mit unserer Altlast zufrieden, fangen aber an zu grübeln.
Eine Kollegin kommt ins Büro. Normalerweise ist sie weltlichen Dingen völlig abhold, aber an diesem Tag verkündet sie, sich einen neuen 1er BMW zuzulegen. Wegen der Abwrackprämie. Eigentlich hätte sie ja lieber einen neuen Golf, aber VW habe inzwischen so lange Lieferzeiten, dass sie lieber auf Nummer sicher gehe. Schließlich reiche die Prämie nur für 600.000 Autos, und sie wolle nicht Gefahr laufen, leer auszugehen. Wir sind zwar mit unserem Semi-Oldtimer zufrieden, aber unser Grübeln nimmt zu. Wenn du die Prämie willst, musst du dich schnell entscheiden.
Freitagabend, Verleihung des Preises für das "Auto der Vernunft". Wenn die wüssten, was wir fahren, hätten sie uns bestimmt nicht eingeladen. Egal. Oben auf der Bühne fällt ein Ford-Vertreter dem Bundesverkehrsminister fast um den Hals. Wegen der Abwrackprämie. Auch ein Skoda-Mann dankt dafür, dass die Autohäuser dank des amtlich geförderten Schrotthändler-Konjunkturpakets wieder voll sind. Uns unten im Saal befällt der Gedanke, dass wir so eine Art letzter automobiler Mohikaner sind, der noch nicht im Autohaus war. Geh wracken, du Spacken (norddeutsch für Volltrottel), schießt es uns durch den Kopf. Dabei haben wir unsere alte Rennsemmel doch immer noch so lieb. Gemein, dieser Gruppenzwang!
Mit Mutter telefoniert. Sie hat ihren Uralt-Toyota gegen einen nagelneuen eingetauscht. Wegen der Abwrackprämie. Mutter ist 82. Und wir fühlen uns in diesem Moment steinalt.
Wie die Lemminge stürzen wir Deutschen in diesen Tagen in die Autohäuser. Wir wissen eigentlich, dass der Neuwagenkauf blanke Geldvernichtung ist, auch die Abwrackprämie deckt in vielen Fällen kaum den Wertverlust im ersten Jahr. Wir wissen eigentlich, dass es ziemlich leichtfertig ist, sich einen nagelneuen Wagen zuzulegen, wenn unklar ist, ob wir am Ende dieses Rezessionsjahres überhaupt noch einen Job haben werden.
Wir jedenfalls werden eisern bleiben. Weil wir vernunftbegabt sind. Weil wir uns dem Herdentrieb verweigern. Aber am Wochenende lassen wir uns doch mal von einem Dacia-Händler vorrechnen, wie viel wir nach Abzug der Abwrackprämie für einen Neuen noch drauflegen müssten. Einfach nur so, versteht sich. Man kann ja nie wissen ...
Andreas Theyssen / Financial Times Deutschland (
www.ftd.de)