Es gibt noch weitere Fälle
Presseartikel aus Yahoo vom 26.07.2007:
Selbstmordserie in Atomanlagen
Straßburg (AFP) - Soziologin macht wachsenden Druck auf Mitarbeiter verantwortlich
Zwischen 300 und 400 Menschen in Frankreich, so geht aus einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung des staatlichen Wirtschafts- und Sozialrats hervor, verüben jährlich aus beruflichen Gründen Selbstmord. Und einiges spricht dafür, dass das Phänomen eine besonders sensible Sparte überdurchschnittlich häufig betrifft: die Atomwirtschaft. Allein im Akw Chinon an der Loire nahmen sich in den letzten zwei Jahren vier Mitarbeiter das Leben, drei davon seit Jahresbeginn. Und am 18. Juni setzte eine Ingenieurin des Atomkonzerns Areva die schwarze Serie fort: Sie stürzte sich aus ihrem Pariser Büro im 7. Stock in den Tod.
"Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs", glaubt Michel Lallier, der für die Gewerkschaft CGT im Betriebsrat des Akw Chinon sitzt. Seit Mitte der neunziger Jahre habe es allein in diesem Meiler zehn Selbstmordfälle gegeben. Und es sei wahrscheinlich, dass auch in den anderen französischen Atommeilern eine Reihe Suizide verübt wurden. Das gleiche gelte für die Leiharbeitsfirmen, denen zunehmend Wartungsarbeiten übertragen würden. Der staatliche Stromkonzern EdF habe Statistiken darüber, halte sie jedoch unter Verschluss. Eine Sprecherin von EdF wollte dazu nicht Stellung nehmen.
Gesprächiger ist Dominique Huez, einer der vier Werksärzte im Akw Chinon. Die Arbeitsbedingungen in den 19 Atomkraftwerken des Landes hätten sich "erheblich verschlechtert", seit EdF 2004 mit Blick auf die Öffnung des Strommarktes in der EU den jüngsten Sparplan gestartet habe. Seither gehe es vor allem um Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität, kritisiert der Mediziner. Die EdF-Angestellten seien einem wachsenden Arbeitsdruck ausgesetzt. Für die Kontrolle von Haarrissen im Reaktormantel etwa hätten sie heute deutlich weniger Zeit als noch vor einigen Jahren. Die Techniker und Ingenieure, denen die Gefährlichkeit der Atomanlagen bekannt sei, würden so in einen Gewissenskonflikt gebracht.
"Die Frage nach der Sicherheit belastet die Beschäftigten", betont Huez. Und die Lage werde sich noch verschärfen, fürchtet der Arzt, der wegen seiner unverblümten Kritik schon jede Menge Ärger mit seinem Arbeitgeber EdF hatte. Der Konzern wolle in den kommenden Jahren nämlich weiter Personal in den Akw abbauen. "In der Belegschaft geht die Angst um", bestätigt Gewerkschafter Lallier.
Für die Soziologin Annie Thébaud-Mony ist die Sparpolitik des Stromkonzerns EdF der Kern des Problems. Immer mehr sicherheitsrelevante Wartungsarbeiten würden aus Kostengründen an Zeitarbeitsfirmen vergeben. Noch vor zehn Jahren seien die Kraftwerke zum Austausch der Brennelemente sechs Wochen vom Netz genommen worden. Heute müssten die gleichen Arbeiten in zehn Tagen erledigt werden. "Dabei werden die Meiler immer älter und wartungsbedürftiger".
Die Folge sei, dass sowohl die Angestellten wie auch die Zeitarbeiter immer mehr an der Sicherheit der Anlagen zweifelten, betont Thébaud-Mony, die für das staatliche medizinische Forschungsinstitut Inserm zehn Jahre lang die Arbeitsbedingungen in der französischen Atomindustrie untersucht hat. Die Festangestellten hätten das Gefühl, den Überblick über ihren Verantwortungsbereich zu verlieren, einigen erscheine der Selbstmord schließlich als der einzige Ausweg aus dem Dilemma.
Dass Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy nun eine eingehende Untersuchung über die Selbstmord-Gefahr am Arbeitsplatz angekündigt hat, erscheint der Soziologin wenig hilfreich. Über das Phänomen gebe es bereits reichlich Studien, einige seien vom Pariser Arbeitsministerium in Auftrag gegeben worden. "Die Gefahren sind bekannt, aber bislang schert sich niemand darum".
Bestimmt wieder ein hitzig zu diskutierendes Thema.
Viele Grüsse
Thomas