Wie heißt noch gleich diese Facebook-Gruppe? „Hurra … ach nee, doch nicht!“ Das beschreibt treffend meinen derzeitigen Saab-Status.
Der 9-3 hat jetzt seit Januar 24.000km auf bundesdeutschen Autobahnen mit mir verbracht und die 167.000km überschritten. Vorrangig gondeln wir auf der A7 zwischen Hamburg und Kiel hin und her, die ja einstweilen noch keine Dauerbaustelle ist. Ab Frühjahr 2014 fangen die zwischen Volkspark und Dreieck Nordwest an zu bauen, und dann zieht sich das Baustellenelend schrittweise hoch bis nach Bordesholm. Hinzu kommt ab 2015 noch der Autobahndeckel. Unglücklicherweise habe ich gleich zwei Leute im Bekanntenkreis, die beruflich mit dem Ausbau der A7 zu tun haben. Die machen mir wenig Hoffnung, dass die Situation angenehmer wird als auf der A1 zwischen Hamburg und Bremen. Eher im Gegenteil. Aber da müssen wir nun mal durch, der 9-3 und ich. Und bislang lässt er keinen Zweifel daran entstehen, dass er das Ende der A7-Erweiterung noch persönlich erleben will. Er läuft einfach super gut. Sowohl mein erster 9-3 als auch mein amtierender 9000 sind für mich wichtigere, prägendere Autos als er. Aber Faktum ist: Wahrscheinlich war dieses rote Coupé zumindest in der Kategorie Einstandspreis/Gegenwert/Erhaltungsaufwand der beste Kauf überhaupt.
Wo ich gerade meinen ersten 9-3, die gute alte Hillary, erwähnte: Es gab ein Wiedersehen. Mancher mag sich entsinnen: Ich veräußerte sie leichtsinnig zum Freundschaftspreis an den Freund eines Freundes. Ein ¾ Jahr später hatte der Freund eines Freundes dann gemerkt, dass so ein Automatik-Saab etwas mehr fossilen Brennstoff verfeuert als eine A-Klasse, und bot mir großzügig an, das Auto für 800 Euro mehr zurückzukaufen, als er mir dafür bezahlt hatte. Schließlich hätte er zwischenzeitlich die Bremsen erneuern lassen… Da ich das schon aus Prinzip ablehnte, verhökerte er die arme Hillary als Werkstatthure. Als ich nun in der Gegend war, folgte ich dem sentimentalen Impuls und fuhr an einem Sonntagnachmittag bei dieser Werkstatt vorbei … nur mal gucken, ob sie zufällig auf dem Hof steht, die alte Hillary. Ja, da stand sie. Ziemlich dreckig, mit ziemlichem stumpfem Lack, welken Emblemen, deutlichen Verschleißfortschritten im Innenraum, ein Gebrauchsfahrzeug eben. Ich tastete über die kleine Narbe an der Frontstoßstange, die ich ihr vor Jahren mal beim Einparken in Berlin verpasste, sah meinen alten Aufkleber in der Heckscheibe „Saab – viel Vernunft und viel Vergnügen“ und war sehr traurig. Auf der einen Seite sah sie in diesem Zustand doch nur wie ein Vectra-Derivat der 90er Jahre aus. Auf der anderen Seite bleibt sie eben mein erster Saab, ein Auto, in dem ich und mit dem ich viel erlebt habe. Nun ist mir bewusst: Wenn man jemandem ein Auto verkauft, darf der damit machen was er will. Aber trotzdem stand ich an jenem Sonntagnachmittag auf diesem verlassenen Werkstatthof irgendwo im Südwesten Deutschlands und dachte mir: „In der Hölle soll er schmoren!“ Dann stieg ich wieder in den roten 9-3 und fuhr los, ohne mich noch einmal umzuschauen.
Der 9000 Aero hat in der Zwischenzeit sein Wellness-Programm absolviert und präsentiert sich in Topform … dachte ich. Zunächst einmal muss man sagen, dass dieses Auto wirklich etwas Besonderes ist. Ein schwarzer Saab 9000 Aero ist sowieso ein faszinierendes Auto. Aber dieses Exemplar hat zusätzlich das ungewöhnliche Talent, jeden in sich verliebt zu machen. Sogar der urhanseatische Werkstattmeister meines Vertrauens nannte ihn kürzlich ein „tolles Auto“. Bei genauerer Betrachtung kann auch dieser Aero nicht verheimlichen, dass er an der 200.000km-Marke kratzt und es im Leben nicht immer so gut hatte wie jetzt. Aber er schafft es, für die ersten kostbaren fünf Minuten jeder Begegnung die perfekte „Es ist wieder 1996 und ich bin gerade frisch aus dem Showroom auf die Straße gerollt, bitte fahr mich vorsichtig ein“-Illusion zu verbreiten.
Mittlerweile gelingt ihm das noch besser als vor einem Jahr. Der Lackierer hat die Leiste an der Frontstoßstange super hinbekommen und die übrigen Minimacken mit vertretbarem Aufwand behandelt. Im Rahmen der Jahresinspektion wurde meine lange Nörgelliste akribisch abgearbeitet. Es klappert keine lose Schraube mehr in der Heckklappe und auch kein loser Schiebedachmotor mehr in der Dachkonsole. Die Achsmanschetten sind neu, das Getriebeöl auch, irgendein Schlauch am Turbolader und sogar einen nagelneuen und originalen (!) Beifahreraußenspiegel konnte der Meister noch aus den Tiefen seines Ersatzteillagers holen (der alte hatte ein paar kleine Schrammen im Plastik). Nicht zuletzt wurde die alte Fuhre umfangreich neu hohlraumversiegelt. Um den Abschluss der Herbstarbeiten zu feiern, entschied ich, dem 9-3 einen Tag frei zu geben und mit dem Aero nach Kiel zu fahren. Auf dem Kieler Dienstparkplatz latschte ich dann voller kindlichem Besitzerstolz einige rituelle Runden um das Auto herum, betrachtete versonnen meinen nagelneuen und originalen (!) Beifahreraußenspiegel und … weitete meine Augen vor Entsetzen. Was war das da an der rechten unteren Ecke des Scheibenrahmens?! Nachdem ich das lose Gummi an der Ecke angehoben hatte, bestätigte sich der grausame Anfangsverdacht: Rost. Am Scheibenrahmen. Horror. Am späten Nachmittag stand ich also wieder auf dem Hamburger Werkstatthof und bat um Trost, Zuspruch, Halt und Diagnose. Die erste Diagnose lautete: „Kriegst noch 100 Euro für das Auto, kannst gleich hier lassen.“ Die zweite Diagnose lautete dann: Sieht nach Rostbefall im Anfangsstadium aus, der sich weitgehend auf die neuralgische untere Ecke der Beifahrerseite beschränkt. Sonst ist auch mit kundigem erstem Blick nirgendwo was zu erkennen. Aber Scheibe raus, Blech braten, versiegeln und hübsch neu anmalen muss man trotzdem. An der Stelle darf eben nicht geschlampt werden. Eine umfangreichere Veranstaltung also, die nun noch im September ansteht. Ins Winterlager soll der Aero nämlich so nicht. Denn so ein rostender Scheibenrahmen wird ja durch ein halbes Jahr Herumstehen in der Garage auch nicht besser...
Kurzzeitig war ich geneigt, dem Aero seinen groben Undank übelzunehmen. Aber dann stand der Meister neben mir, schaute mit mir mein Auto an, das so unschuldig in der Sonne glänzte, und sagte: „Er ist aber auch wirklich ein wunderschönes Auto.“
Ja. Das ist er.