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MBU
Guten Tag. Ich melde mich zurück auf Montage.
Was bisher geschah: Dem Aero geht es gut. Die Auspuffblende fängt an zu rosten, ein Glühbirnchen vom linken Sitzheizungsschalter geht nicht (was mich als Psychopathen natürlich wahnsinnig macht). Ansonsten ist er kerngesund und schön wie immer.
Der rote 9-3 verließ mich im Juni 2014. Weil der tägliche Pendelverkehr zwischen Hamburg und Kiel wegfiel, brauchte ich ihn nicht mehr. Außerdem lockte mein neuer Arbeitgeber mit einem Dienstwagen. Den habe ich aber bis heute wegen eines Bestellstopps nicht bekommen. Stattdessen fahre ich seit Sommer im Alltag mit Europcar-Leihwagen herum. Drei C-Klassen (von denen ich eine um ein paar Zentimeter verkürzte), dann ein Opel Insignia mit Sechszylinder und Allrad (seither kommt mir mein Aero so sparsam vor). Schließlich kam ich zu dem Ergebnis: Wenn mir ein Auto sowieso kein Spaß bringt, muss ich auch keine hohen Steuern dafür zahlen. Also wechselte ich freiwillig auf einen VW Polo. Mit Dreizylinder. Ich hasse ihn.
Zugleich sondierte ich in verschiedene Richtungen, ob ich mir nicht doch privat einen Neuwagen lease, um den Dienstwageneinheitsbrei zu umgehen. Dabei geriet ich in die Fänge von Volvo-Verkäuferin Frau G., der begabtesten Autoverkäuferin, der ich überhaupt je begegnet bin. Ich erlaube mir an dieser Stelle einfach das Recycling eines Facebook-Posts:
Saab-Fahrer Herr S. betritt den Schauraum eines Volvo-Autohauses. Etwa so ungewöhnlich wie ein Besuch von Churchill in der Wolfsschanze. Aber na ja, gucken kann man ja mal. Immerhin eine theoretische Möglichkeit, den deutschen Premiumeinheitsdienstwagenbrei zu umgehen und den Saab zu schonen. So stellt er sich auch der freundlichen Volvo-Verkäuferin Frau G. vor. „Also, ich bin ja Saab-Fahrer, aber ich dachte, ich gucke mal. Dieser V40 ist ja ganz hübsch.“ Frau G. schaut ihn mitfühlend an: „Ja, Saab, schlimme Geschichte. Setzen Sie sich doch. Möchten Sie einen Kaffee? Mit Milch? Dann wollen wir doch mal sehen, ob wir nicht was für Sie tun können.So unter uns Schwedenmarken, nicht wahr?“
Sodann blättert Frau G. mit Herrn S. seelenruhig Prospekte durch, holt Stoff-, Leder- und Lackmuster. Holz oder Aluminium? Sondermodell YOU, Ocean Race, oder doch lieber Momentum oder Summum? Vielleicht noch ein Kaffee? Saab-Fahrer Herr S. fühlt sich ein wenig wie ein DDR-Bürger im Intershop. Er hat gelernt, in den Kategorien „lieferbar“ und „nicht lieferbar“ zu denken, aber nicht in 30.000 Ausstattungsoptionen. Dazu sagt Frau G. Sätze wie: „Sie entscheiden so etwas auch eher nach Gefühl, oder? Ich ja auch.“ Oder: „Natürlich kann ich Ihnen auch nicht versprechen, dass an einem Volvo nie etwas kaputt geht. Aber wir lassen Sie damit nicht alleine.“ Oder: „Eine ordentliche Probefahrt sollte schon mindestens einen Tag lang dauern, damit Sie wissen, ob der Volvo und Sie zusammenpassen.“ Oder: „Restwertleasing mache ich als seriöse Verkäuferin nicht. Ich will ja, dass Sie in drei Jahren wieder ein Auto bei mir kaufen.“
Zwischendurch muss Herr S. aufs Klo. Frau G. bringt ihn hin und stellt ihm unterwegs jeden Mitarbeiter vor wie bei einem Familientreffen: „Das ist Herr Sowieso, der leitet die Serviceannahme bei uns.“ Auf dem Klo steht eine hübsch dekorierte Glasschale mit bunten Schmucksteinen. Es sind genug Papierhandtücher da, und der weiße Boden glänzt.
Zurück am Schreibtisch schiebt Frau G. mit gütigem Blick das Ergebnis ihrer Kalkulation über den Tisch. Herr S. runzelt die Stirn: „Das ist … nun ja … recht günstig. Wie hoch ist denn die Anzahlung?“ Frau G. schmunzelt: „Keine Anzahlung, Herr S.“ Herr S. wird misstrauisch: „Aber Überführung und Zulassung?“ Frau G. lächelt überlegen: „Schon mit drin.“ Herr S. bekommt eine Idee: „Und Winterreifen? Ich meine: Draußen wird ja Winter. Da braucht man so etwas.“ Frau G. winkt ab: „Da finden wir schon eine Lösung, Herr S.“
Fieberhaft sucht Herr S. nach einem Gegenargument. Als ihm keines einfällt, zieht er in einer theatralischen Geste seinen abgewetzten Saab-Schlüsselanhänger aus der Hosentasche: „Schauen Sie, Frau G., diesen Schlüsselanhänger habe ich mit 18 bekommen, als ich ein Praktikum bei einem Saab-Händler gemacht habe. Den habe ich immer behalten, als Erinnerung daran, dass ich es im Leben mal dazu bringen will, mir einen neuen Saab bestellen zu können. Und nun sitze ich hier bei Ihnen. Bei Volvo. Verstehen Sie mein Problem?“ Frau G. nickt betroffen: „Ja, machen wir uns da nichts vor. Saab hat großartige Autos gebaut. Die kann man mit nichts vergleichen. Ich verstehe Sie nur zu gut. Aber Sie müssen auch die Tatsachen sehen. Wir sind die einzige schwedische Marke, die Ihnen geblieben ist. Sie haben nur noch uns, Herr S..“ Herr S. denkt sich: Verdammt! Die Frau kann Karl Lagerfeld ein Feinrippunterhemd, dem Papst einen Sack voll Kondome und mir einen Volvo verkaufen.
Die Sache zwischen mir und Frau G. zog sich dann noch über Wochen. Als ich den V40 nach der Probefahrt makellos langweilig fand, bot sie mir einen neuen V70 zu schamlos guten Konditionen an. Die drücken die Dinger im Moment echt mit aller Gewalt in den Markt. Aber irgendwie konnte ich die innere Sperre dagegen, von Trollhättan auf Göteborg zu wechseln, nicht überwinden. Schließlich hatte ich selbst jahrelang gepredigt, dass Volvo nichts anderes als der plumpe Vetter weiter unten am Fluss ist.
Stattdessen fing ich an, mich wieder nach einem Zweitsaab umzusehen. Ein 93er 900S CC mit BorgWarner machte einen ehrlichen Eindruck. Der Himmel hing, aber dafür wurde schon einiges an der Karosserie gemacht. Am Ende scheiterte es an den unterschiedlichen Preisvorstellungen. Ein Ersthand-9-3/I mit wunderbarer Historie war fast schon meiner. Die Abholung inklusive Hotelbuchung war fest terminiert. Dann schickte mir der (ehrliche) Verkäufer Detailfotos von der Karosserie. Insbesondere die hinteren Radläufe sahen übel aus. Hätte man alles wieder hübsch machen können, wäre wirtschaftlich dann aber nur noch so mittelmäßig vernünftig gewesen. Und irgendwie hatte ich bei den Bildern auch die Lust verloren. Das war Mitte dieser Woche. Der Personalabteilung hatte ich allerdings in einem rebellischen Akt bereits mitgeteilt, dass sie mir den Dienstwagen künftig ausbezahlen sollen. Und so kommt es, dass wir ab heute plötzlich wieder ganz alleine sind. Der Aero und ich.
Folglich nutzte ich heute den letzten Tag mit Europcar-Polo und fuhr spontan ins Saab Zentrum Paderborn, um die Winterräder des Aero zu holen, die dort seit Frühjahr 2013 lagern. Das Autohaus Borghardt – der Ort, an dem ich meinen Aero abholte. Für mich immer noch ein sentimentaler Schauplatz. Als ich mit Borghardt senior die (sauberen und einzeln mit eingeschweißten Etiketten beschrifteten) Winterfelgen in dem Dreizylinder-Polo verstaut hatte, sagte ich aus einer Laune heraus: „Haben Sie nicht einen schönen 900 Turbo für mich?“
Eigentlich ist ein 900 Turbo ja nun nicht das, was ich neben dem Aero bräuchte. Da müsste was für den Alltag hin. Etwas, das man ohne schlechtes Gewissen fahren
kann. Nichts, worauf man genauso gut achten muss wie auf den Aero. Aber irgendwie ist die Zeit auch reif für einen 900 in meinem Leben. Sonst werde ich später ewig bereuen, dass ich nie einen hatte.
Wie auch immer. Schon während ich Borghardt fragte, schielte ich über seine Schulter in die Werkstatthalle, wo ich einen 900 gesichtet hatte, und fügte an: „Den da hinten nehme ich.“ Ja, den wolle er vielleicht aufbauen, vielleicht auch nicht, so der Chef. Eigentlich hätte er auch gerne mal einen 12-Stunden-Tag und schon genug Projekte am Hals. Achswellentunnel matschig, ein vorderer Radlauf sieht übel aus, über 300.000 auf der Uhr, der Fahrersitz aufgeplatzt. Jahrelang habe das arme Auto nur rumgestanden. Und dennoch: Ein 85er Saab 900 Turbo 16. Als CC. In Schwarz. Mit beigem Leder. Gerade die frühen 900-Jahrgänge haben für mich besonders viel Charakter. Ich war sofort verknallt. Borghardt senior stand derweil vor dem Auto, und erklärte mir viele Dinge, die ich nur zu einem Drittel verstehe.
Er selbst war der Erstbesitzer, dann verkaufte er den Wagen an einen alten Schulfreund. Erst der dritte Besitzer stellte den Wagen weg und kümmerte sich nicht mehr drum. Er redete halb mit sich selbst, halb mit mir: „Man müsste erst mal Motor und Getriebe rausnehmen, damit man vernünftig arbeiten kann. Die Hinterachse auch.“ Irgendwas von Ventilen, die nicht rot sein dürfen, sagte er. Und noch so andere Sachen, die ich nicht verstand. Sei schwer abzuschätzen, was da alles komme, meinte er. Aber wenn ich meine aktuelle Telefonnummer da lasse, denke er an mich, wenn er denn jemals fertig würde mit dem Auto. Ich verabschiedete mich, bezahlte bei Borghardt junior die Reifenlagerung, wollte wieder in meinen Dreizylinder-Polo steigen, und dachte: „Ach nee.“ Dann ging ich zurück in die Werkstatthalle. Setzte mich wieder rein in den 900. Stieg aus und lief drumrum. Setzte mich wieder rein. Irgendwann grinste der Azubi: „Na, der gefällt Dir, nä?“ Ich grinste zurück: „Merkt man das?“ Er: „Nur ein bisschen.“ Schließlich wendete ich mich wieder an den Senior. „Ich hätte das Auto gerne. Es ist nicht eilig. Wenn Sie ein Jahr brauchen, macht das nichts. Aber ich hätte gerne, dass Sie sich um den Wagen kümmern.“ Herr Borghardt sagte: „Wissen Sie, eigentlich hatte ich mir schon überlegt, dass ich den für mich selbst aufbaue. Aber wenn Sie den wollen, mache ich den für Sie fertig.“ Ich nickte: „Machen Sie mir einen Vorschlag, wie wir es machen wollen.“ Dann verabschiedeten wir uns.
Ich stieg in meinen Dreizylinder-Polo, kurvte durch das Gewerbegebiet und aus der Stadt hinaus. Dann dachte ich: „Ach nee“, drehte um und fuhr zurück. Noch einmal ging ich in die Werkstatthalle, um ein paar Erinnerungsfotos zu machen. Es war gerade keiner da. Nur der alte schwarze Saab und ich. Ich stand vor ihm und dachte: Ja, vielleicht ist es wirklich Zeit für einen 900.