Alma kommt

Post von Johann Taubenberger, Saab-Händler aus der Demmeljochstraße 40 in Bad Tölz. Der wollte mir schon seit Freitag Informationen zu einem Cabrio schicken, was er nun nachholte. Ich antwortete ihm wahrheitsgemäß, dass mir das Saab Zentrum Paderborn nun einen 85er Saab 900 turbo 16s restauriere. In 99 Prozent aller Fälle hätte ich von diesem Händler nichts mehr gehört. Johann Taubenberger aus der Demmeljochstraße 40 hingegen schreibt: "... viel Spaß mit dem 900 T16s! Bei Familie Borghardt sind Sie damit in den besten Händen. Wenn Sie das Schätzchen abholen, grüßen Sie bitte schön von mir!" Eine dieser typischen kleinen Geschichten, die so viel über diese kleine Marke sagt.
 
Typischer CD-Kunde: Ü60, überaus solvent, wenig veränderungsbereit. Was würdest Du als Hersteller machen, damit der sich überhaupt nochmal ein neues Auto kauft? Richtig ... einen extra Bogen um die Konservierungsgleise.


:laugh: :rofl: :biggrin:

DAS ist der Spruch des ganzen Threads, ich hab fast 5 Minuten gebraucht, um keine Tränen mehr zu lachen. :top:

Übrigens ein ganz wundervoller Thread (den ich erst jetzt gefunden hab) und hättest du deine ganzen Beiträge als Buch gebracht, hätte ich nicht mal den halben Klappentext gebraucht um es zu kaufen und jedem zu empfehlen, den ich kenne!

Meine Hochachtung ist dir sicher. :ciao:
 
Donnerstagmittag in Paderborn. Ich habe auf dem Weg zu Freunden in Wiesbaden einen Schlenker über Ostwestfalen gemacht, um zu sehen, wie es dem 900 geht. Vorher aber habe ich den Aero noch schnell durch die nahegelegene Waschanlage gefahren, damit Borghardt senior nicht denkt, ich lasse sein Auto verlottern.

Als ich die Reparaturannahme betrete, begrüßt mich eine fröhliche Frau Stümpel. „Ist das da draußen Ihr 9000 Aero? So einen schönen 9000 habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen!“ Meine Automobilistenseele schnurrt behaglich vor Besitzerstolz. „Ja, Frau Stümpel. Der ist sogar hier bei Ihnen gekauft.“ Sie schaut nochmal aus dem Fenster: „Ach wirklich? Von uns ist der? Und Sie kommen so richtig aus Hamburg? Tolle Stadt. Da war ich auch schon mal. Sie reden aber gar nicht wie ein Hamburger. Na ja, Sie sind hier, um eine Probefahrt mit dem schwarzen 900 zu machen, richtig?“ Mein Puls beschleunigt sich: „Probefahrt? Davon wüsste ich nichts. Ich hatte mich aber bei Herrn Borghardt angemeldet, um den schwarzen 900 zu besuchen.“ Frau Stümpel hüpft von ihrem Bürostuhl und macht sich auf den Weg Richtung Werkstatt: „Dann suchen wir ihn mal. Man weiß nie so genau, wo er gerade ist.“

Kurze Zeit später betritt Heinz-Jürgen Borghardt mit schwarzer Schirmmütze und Feiertagsgrinsen die Reparaturannahme: „Da sind Sie ja! Kommen Sie, wir beide drehen ne Runde!“ Auf dem sonnigen Innenhof steht der schwarze 900 turbo 16s mit laufendem Motor: Momm-Momm-Momm-Momm. Atemberaubend sieht er aus. Das schönste Auto der Welt – neben dem Aero, versteht sich. Ich rufe begeistert: „Herr Borghardt, das Auto läuft ja! Ich dachte, der sei … nun ja … kaputt!“ Tatsächlich hatte ich beim letzten Besuch mein Kaufinteresse für den Wagen bekundet, ohne auch nur einmal den Zündschlüssel umzudrehen. Herr Borghardt nickt: „Und wie der läuft! Ich habe mal die roten Nummern dran gemacht, weil ich testen wollte, wie es mit dem Getriebe aussieht. Das geht super. Kein Kratzen, kein Heulen. Da muss schon mal was dran gemacht worden sein.“

Borghardt setzt sich hinter das Lenkrad, ich auf den Beifahrersitz, die Türen fallen mit einem satten Klonk ins Schloss, und wir fahren los. Er erzählt noch einmal die ganze Lebensgeschichte des Autos. Er erzählt mir von neuen Pedalgummis, die er in Holland gefunden hat. Stoßdämpfer, Kühler, Tachowelle, Reifen, die neu müssten. Dass da natürlich noch ein originaler blasenfreier Handschuhfachdeckel mit Chromleiste und 900-Schriftzug reinkomme. Als die Maschine warm ist, tritt er das Gaspedal durch, die Ladedruckanzeige zuckt, der 30 Jahre alte Wagen schießt mit pfeifendem Lader nach vorne, während es uns in die Sitze drückt: „Er kann es immer noch“; sagt Borghardt zufrieden. Dann verreißt er – wie schon einst bei der Übergabeprobefahrt mit dem 9000 – das Lenkrad in beide Richtungen, was den Saab nur mäßig beeindruckt: „Die Sache mit der Achsgeometrie hatte ich Ihnen ja schon mal erklärt, nicht?“ – „Mhm.“

Kurz darauf biegt Borghardt auf einen Feldweg. „So, Fahrerwechsel.“ Wir steigen beide aus dem Wagen und stehen davor. Ich schwärme: „Gradschnauzer, schwarz, braunes Leder und Aerobeplankung. Für mich ist das der schönste 900, der je gebaut wurde, Herr Borghardt.“ Er nickt: „Ich weiß noch, wie wir zur Markteinführung des 16s oben in Trollhättan waren. 40 solche Autos standen da nebeneinander aufgereiht. War ein toller Anblick. Ein paar Jahre früher waren wir auch zur Neuvorstellung des 900 da. Sie müssen sich das vorstellen: Die Fertigung war natürlich weitgehend automatisiert, aber die haben da regelmäßig Autos aus der Montagelinie gezogen und wieder auseinandergenommen, weil sie den Computern nicht getraut haben. Schauen Sie mal die Schweißnaht hier oben am Dach beim Übergang zur Kofferraumklappe an. Das ist noch echter Karosseriebau. Später hat man da eine Blende drüber gemacht, weil die Kunden der Anblick störte. Ich finde – so eine schöne Schweißnaht kann sich sehen lassen!“

Ich setze mich auf den Fahrersitz, schaue durch die steile Frontscheibe über die herrlich lange Motorhaube und freue mich über diese typisch aufrechte Sitzposition. Dann lege ich den ersten Gang ein und der 900 setzt sich grollend in Bewegung. Dieses Auto hat 320.000 Kilometer auf der Uhr, und man spürt, dass es gelebt hat. Aber dennoch vermittelt der Saab diesen schwer zu beschreibenden Eindruck archaischer Unzerstörbarkeit. Wie sagten sie einst bei Top Gear: Manche dieser Autos tragen noch alte Narben von Meteoriteneinschlägen aus der Frühzeit. Die kalte Luft strömt durch das offene Schiebedach, die Tachonadel bewegt sich zitternd nach oben und die Gänge flutschen sauber durch die Schaltgasse. Ich kriege das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Als dieses Auto vom Band lief, hieß der schwedische Ministerpräsident noch Olof Palme. Ich wehrte mich erfolgreich dagegen, in den Waldorf-Kindergarten geschickt zu werden. Im Kino lief „Zurück in die Zukunft“. a-ha stand mit „Take on me“ an der Spitze der Charts. Und Saab erlebte gerade die einzige Periode in der Unternehmensgeschichte, in der richtig Geld in die Kassen kam. Gerade im Reagan-Amerika und Thatcher-Britannien wurde der 900 turbo zum Statussymbol der neuen Yuppies. Und zwar genau so wie dieser hier: Schwarz. Beiges Leder. CC. 16V-Vollturbo mit frei atmenden 175 PS.

Zurück auf dem Werkstatthof springt Borghardt aus dem Auto. Er läuft zu einem halb ausgeschlachteten Wrack. Ich hinterher. "Helfen Sie mir mal, die Haube runterzunehmen." Dann steckt er den Kopf in den Motorraum: "Da sehen Sie, wie ein verrosteter Achswellentunnel aussieht. Schöner sieht das beim Schwarzen leider auch nicht aus. Aber da schweißen wir ordentliche Reparaturbleche rein, dann geht das wieder!" Kommentarlos läuft er weiter, ich hinterher. In der Werkstatthalle zeigt er mir ein betagtes 900 Cabrio, in das gerade großflächig neue Bleche geschweißt werden, dann klettert er eine Leiter hoch. Ich hinterher. Wir sind in den heiligen Hallen des Borghardtschen Lagers angelangt. In ordentlich beschrifteten Kisten ("Antennenmotoren 9000 CS") lagern die Schätze von Jahrzehnten. Danach zischt Herr Borghardt weiter in Richtung Ausstellungsraum. Ich hinterher. Vor dem taubenblauen Saab 96 runzelt er die Stirn: "Ach, den hatte ich Ihnen ja schon gezeigt, oder?" Ich nicke: "Ja, schönes Auto. Aber wissen Sie, die Halle wirkt so leer im Moment." Er zuckt mit den Schultern: "Wem sagen Sie das. In den guten Jahren haben wir 160 Neuwagen verkauft. Marktanteil über 4 Prozent. Die haben hier eine Saab-Händlertagung durchgeführt, und da sollte ich erklären, wieso wir so viel mehr Autos verkaufen als andere. Im ganzen Innenhof hatten wir ein Zeltdach aufgespannt, Livemusik gab es, und getanzt haben wir wie die Verrückten! Das waren Zeiten!" Er läuft zur Glasvitrine am anderen Ende der Ausstellungshalle und holt eine alte Medaille raus. "Schauen Sie, 9000 Talladega-Challenge 88/89. Da wurden die Gewinner auf eine Kreuzfahrt eingeladen. Ein ganzes Kreuzfahrtschiff voller Saab-Händler! Ich war dabei. Damals galt bei Saab noch: Die Händler müssen Geld verdienen können. Wir hatten die besten Margen in der ganzen Industrie. Das waren gute Jahre." Er zeigt auf eine Sammlung mit Saab-Krawattennadeln in der Vitrine: "Gefällt Ihnen da eine?" Ich deute auf ein simples Metallschildchen mit Saab-Logo und der Aufschrift "H. Borghardt": "Das hätte ich gerne. Das mache ich mir im 9000 ans Armaturenbrett."

Zurück auf dem Werkstatthof stehen wir wieder vor dem 900, dessen Motor noch immer behaglich vor sich hingrummelt. Ich frage: "Wie machen wir denn jetzt weiter Herr Borghardt? Finanziell meine ich." Er sagt: "Sie haben doch gesagt, ich soll den so fertig machen, als ob der für mich selbst wäre. Das mache ich jetzt. Den Wagen kriegt kein anderer. Und wenn hier der Kaiser von China persönlich auftaucht! Wenn ich fertig bin, mache ich Ihnen einen fairen Preis. Und wenn Sie den dann nicht nehmen, behalte ich ihn selbst." Er kneift die Augen zusammen und geht ein paar Schritte zurück: "Diese Dellen da in der Fahrertür, die müssen natürlich auch raus."

Schließlich verabschiede ich mich widerwillig von Herrn Borghardt und dem alten 900. Wiesbaden ruft.

Samstagmittag. Ich sitze im 9000 und mache mich auf den Heimweg nach Hamburg. Als wir auf die Autobahn einfädeln, denke ich: So weit ist der Umweg über Paderborn ja eigentlich gar nicht…. Ich fahre mit gemächlichem Tempo durch hessische Fachwerkhausidylle von Gießen über Marburg bis nach Paderborn, die Buddenbrooks als Hörbuch im CD-Wechsler und die Verbrauchsanzeige auf 6,4 Liter. Es gibt einfach kein besseres Reiseauto als den Saab 9000. Gegen vier Uhr nachmittags rolle ich auf den verlassenen Werkstatthof in Paderborn. Der 900 steht draußen. Ich steige aus, gehe langsam um das Auto herum und betrachte es aus allen Perspektiven. Wie schrieb mir Saab-Freund Elmar: Von dem Wagen geht ein starkes Begehrlichkeitsaroma aus. Wie wahr. Ich stelle mir vor, wie das sein wird, wenn ich ihn eines Tages hier abholen kann. Und dann denke ich mir: Sie stimmt eben doch, die alte Saab-Fahrer-Weisheit: „Einen Saab suchst du dir nicht aus. Ein Saab sucht dich aus.“ Dieser hier hat mich ganz sicher ausgesucht.
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Besten Dank für die schöne Story zum Sonntag, einfach klasse. :top:
 
Hach, man spürt das Gleiche aber kann es nicht so gut formulieren wie du!
Meinst Du herr Borghardt hat noch einen Chromgrill mit turbo Schriftzug für das Schätzchen?
 
Herr Borghardt und ich sind der Meinung, dass alles soll so original wie möglich sein soll. Ich finde einen Chromgrill auch schöner. Aber den gab es nicht ab Werk, oder?
 
Der war, glaube ich, baujahrsabhängig...
 
Die Grillfrage kann noch nicht abschließend entschieden werden. Meine größte Sorge ist zur Zeit, ob der Sattler den Lederfarbton trifft...
 
Mit wenig feuchten Augen sehe ich im letzten Bild einen weiteren top 901 stehen.
Den kenne ich doch ....
 
Notizen am Abend.
- Als ich sagte, dass die Restaurierung ruhig 12 oder 18 Monate dauern könne, bedachte ich nicht, dass ich nun wirklich 12 bis 18 Monate warten muss.
- Ich brauche eine blaugelbe Schweizer Autobahnvignette von 1985 für die Frontscheibe. Und wenn ich dafür töten muss.
- Wenn Mauritz, der kleine Sohn meiner Freunde Julia und Michael, in seinem Bilderbuch einen Saab 900 sieht, zeigt er mit dem Finger drauf und sagt: "Sebastian-Auto!"
- Vielleicht doch ein Chromgrill.
- Der Sattler muss auf jeden Fall diesen "Upholstery Leather for Saab"-Wimpel an der Kopfstütze wieder reinnähen.
- Ob ich mir vielleicht einen kleinen Wohnwagen kaufe und den in Paderborn auf den Werkstatthof stelle?
- Als ich sagte, dass die Restaurierung ruhig 12 oder 18 Monate dauern könne, bedachte ich nicht, dass ich nun wirklich 12 bis 18 Monate warten muss.
 
Ja, aber der, der vom Steil 16S verdeckt wird (also kaum zu sehen. Die 8Vi's werden eh nur von den treuesten geschätzt :smile:)
 
Wie sie da so stehen - wunderschön :top:

Danke für die Gedanken an die Rücksichtnahme auf meine Gefühle....
 
Steht der denn immer noch da oder ist es ein altes Foto ?!
 
Und was hat es damit (also dem 8V) auf sich? Falls das hier zu OT ist, gern auch per PN. Und ja, ich geb zu, ich bin neugierig. :smile:
 
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