So. Nun ist es passiert. Die Chrombrille ist weg. Oder fast. Und das kam so:
Ich brachte das Auto, das bei mir bezeichnenderweise immer nur „der Kombi“ genannt wurde, zur Jahresinspektion in die weltbeste Saab-Werkstatt meines Vertrauens. Bei der Schlüsselübergabe erwähnte ich, dass ich "den Kombi" gerne verkaufen würde. Am Mittag dann der Anruf: Der Nachbar der Werkstatt würde ihn nehmen. Zusätzlicher Pluspunkt: Ihm gehört der Hamburger Club, in dem ich relevante Teile des freudvollen Frühlings meiner Jugend verbracht habe. Noch ein zusätzlicher Pluspunkt: Extrem guter Typ. Und „der Kombi“ passt besser in sein Leben als in meines. Noch nichts Schriftliches, aber per Handschlag besiegelt und gutes Bauchgefühl. Übernächste Woche geht er weg.
Ein schlechtes Gewissen muss ich nicht haben, wenn ich das Auto verkaufe. In den 25.000 Kilometern in meiner Obhut hat er keinerlei Zicken gemacht. Und schön ist er unverändert. Nur eben nicht meiner. Ich entbehre an ihm zu viel, was für mein subjektives Saab-Empfinden wichtig ist. Mein Saab-Seelchen bleibt unberührt. Es ist einfach ein Auto. Und das liegt nicht nur an dem eingestanzten GM-Signet auf dem Wischerblatt.
Und jetzt? Herantasten an die Vorstellung, sich wieder einen Saab zu kaufen, der mehr Saab ist. Gespräch mit meinem Hamburger Meister. 9000 soll es sein. Oder vielleicht doch wieder 9-3I? Aber die richtig guten 9-3I sind mittlerweile alle Cabrios. Und damit wollte ich eigentlich noch bis zur Stirnglatze warten. Kommentar vom Meister: „Ja, die letzte richtig gute Limo, die ich gesehen habe, war Deiner. Perfekt war der, nix dran. So schier, so weiß.“ Also mein erster Impuls: Ich will die alte Hillary wiederhaben. Nachdem ich sie viel zu billig an einen Bekannten verkauft habe, hat der sie später mit Gewinn als Werkstatthure verhökert. Also Anruf in der besagten Werkstatt: Ich will mein Auto zurück, ob da vielleicht was zu machen sei. Ich sei bereit, Lösegeld zu zahlen. Nichts zu machen. Die wissen, was sie an diesem Auto haben. Aushängeschild für die Langzeitqualität von Saab. Der soll noch sehr lange laufen. Wie war das noch gleich? Ich kündigte an, dass es der größte Fehler meines Autolebens wäre, den 9-3 zu verkaufen? Und tat es dann trotzdem. Es war der größte Fehler. Aber hilft nix - und erweitert den Blick für einen Saab-Neuanfang. Es soll so sein.
Es kommen die Erinnerungen an die 9000-Sehnsuchts-Momente. Die erste Fahrt am Steuer von Freund Christophs schwarzem 9000 Aero Automatik und das Kribbeln im Bauch, wenn man das Gaspedal durchtrat. Was für ein Auto! Der 9000 Aero meines Bruders, wie er schwarz und geduckt im frischen Neuschnee stand - und die ganze Saab-verrückte Familie andächtig drum herum. Die Probefahrt aus Jux mit einem silbernen 9000 Anni vor ein paar Monaten und der freudlose Moment, wieder am Steuer des 9-5 zu sitzen.
Entschluss: Keine Kompromisse. Wenn es jetzt kein 9000 wird, dann nie!
Nächster Ansatz: Besuch beim Saab-Händler meines Vertrauens. Ob er nicht was wüsste? Er rattert in Gedanken die Kundenfahrzeuge durch. Die 9000er-Kunden sind schlimmer als alle anderen. Die hocken renitent auf ihrem Kutschbock und steigen nicht ab. Selbst wenn man versucht, sie runter zu zerren. Dann der Griff zum Telefonhörer. „Meister, willst Du nicht Deinen 9000er verkaufen? Nicht? Rück die Karre raus!“ Nichts zu machen. Macht nichts. Bei der Hofbesichtigung stellte sich heraus, es wäre sowieso nicht meiner gewesen.
Nächster Ansatz: Besuch bei einer anderen Hamburger Saab-Werkstatt, bei der ich freiwillig keine Schraube wechseln lassen würde. Nicht, weil sie es nicht könnten. Nur, weil man sich bei der Rechnung so fühlt, als ob man jetzt Mehrheitseigner dieser Firma wäre, die irgendwann mal solarbetriebene Gehhilfen in Trollhättan zusammendübeln will. Aber hülft ja nix. Die deutsche Kundschaft rannte den FSHs eben leider nicht die Bude ein, um den Gegenwert eines gut ausgestatten W124 in eine schwedische Fließhecklimousine zu investieren, die mit dem Fiat Croma verwandt ist. Also kann man keine potenzielle Quelle ungenutzt lassen. Ja, sie haben da einen auf dem Hof. Also beherzt den Schlüssel gegriffen … und innerhalb weniger Minuten verstanden, wie viel man wirklich entbehrt hat.
Ich setze mich in einen völlig verlebten, verdreckten und überteuerten schwarzen Saab 9000 Anniversary. Indiskutables Angebot. Aber gucken kann man ja mal. Die Fahrertür fällt mit dem Geräusch eines Panzerschranks ins Schloss. Der unverwechselbare heisere Klang des Anlassers (ich liebe ihn!) erweckt den alten Saab-Turbomotor zum Leben. Er fällt sofort in den ruhigen Leerlauf und strahlt mit seinem dunklen, diskreten Summen souveräne Potenz aus: „Ich muss nicht beweisen, dass ich mehr kann als ein BMW Reihensechser. Aber wenn ich soll, mach ich’s.“ Der typische Saab-Geruch schmeichelt sich in mein Stammhirn (Zuhause! Mein 9-3 hatte ihn auch noch, beim 9-5 sauge ich nicht mal Spurenelemente auf, wenn ich direkt an der Auslegeware schnüffle), während ich mich in die besten Ledersitze schmiege, die je in ein Auto eingebaut wurden. Na gut, die zweitbesten – so viel Aero-Ehre muss sein. Der Kilometerzähler verrät: 250.000 – gerade erst eingefahren. Mein Blick schweift über das Armaturenbrett – steil wie die Eiger Nordwand. Nichts klappert, nichts knistert. Ich spiele mit dem filigranen Hebel für die elektrischen Außenspiegel (ich liebe ihn!) und streichle versonnen über das Lederlenkrad. Dann stehe ich mit dem Meister hinter dem Auto. Der Auspuff bollert dezent und sonor wie es sich bei einem Saab gehört, die Heckscheinwerfer funkeln blutrot unter der schwarzen Blinkerblende. Ich bewundere wieder mal das Meisterwerk, in den frühen 90er Jahren ein Auto zu zeichnen, das niemals alt aussehen wird, sondern immer nur klassisch, schön und elegant. Kein Auto kann so schwarz sein wie ein schwarzer Saab 9000. Sagte ich damals, als ich Freund Christophs Aero zum ersten Mal sah. Und finde es jetzt wieder. Der Meister sagt: „Tja, damals. Da haben sie in Trollhättan wirklich nochmal alles gegeben.“
Und ich denke: Ich hatte fast vergessen, wie glücklich ein Saab macht.
Also: Geduld. Ich bin bereit für Saab Nr. 3. Er wird schon kommen. Und dann wird er bleiben.