Die ersten 300 Kilometer im neuen Saab.
So begeistert war ich zuletzt von einem Auto, als ich meinen allerersten Saab bekam. Mancher Veteran wird sich erinnern. Das war ein weißer Saab 9-3 2.3i SE Automatik als 5-Türer. Erstzulassung im Mai 1998. Ich erwarb ihn 2008 mit 81.000km auf der Uhr von einem Bremer Saab-Händler für günstige 3.500 EUR. Der einzige Vorbesitzer war ein zuvor verstorbener Musiker aus dem Orchester von Radio Bremen, der die Lüftungsschlitze mit dem Rasierpinsel reinigte. Nie werde ich den Besitzerstolz vergessen, als ich ihn mit meinem Vater in Bremen abholte und wir über die A1 in Richtung Norden glitten. SO kann Autofahren auch sein! Für mich war er das perfekte Auto. Ich konnte mich weder außen noch innen an dem Design sattsehen. Ich mochte die harmonische Kombination aus dem flüsterleisten Saab-Benziner und der Automatik. Ich mochte den unverwechselbaren Neuwagen-Ledergeruch und den überragenden Sitzkomfort. Ich mochte das typische Saabgefühl durch die relativ hohe Fensterlinie, die steile Frontscheibe, das um den Fahrer gewölbte Armaturenbrett und natürlich das Zündschloss zwischen den Sitzen.
Aus einer dummen Laune heraus verkaufte ich ihn drei Jahre später mit 145.000km auf der Uhr für 2.222 EUR und bereute es schon kurze Zeit später. Ein Jahr später rief mich der neue Eigner an: Der 9-3 verbrauche ihm einfach zu viel Sprit. Er habe in der Zwischenzeit allerdings vorne in neue Bremsscheiben und -beläge investiert und müsse deshalb 3.000 EUR für den Wagen verlangen. Ich fühlte mich über den Tisch gezogen und sagte ab. Aus Prinzip. Kurze Zeit später bereute ich es erneut, denn die 778 EUR Lehrgeld wären für meinen dauerhaften Seelenfrieden gut investiert gewesen. Der Saab ging dann als Werkstatthure in eine freie Werkstatt nach Mainz, wo er bis heute seinen Dienst verrichtet. Vor zwei oder drei Jahren besuchte ich ihn dort mal. Der weiße Lack war durch die Jahre unter freiem Himmel stumpf, der Innenraum etwas verlebt(er), aber unrettbar war er nicht. Ich sah den alten Aufkleber, den ich auf die Heckscheibe geklebt hatte ("Saab - viel Vernunft und viel Vergnügen"). Die kleine mit dem Lackstift überpinselte Abschürfung, die ich ihm einst beim Einparken in Berlin verpasst hatte. Und ich hätte ihn gerne zurückgekauft. Weil er Teil meiner Geschichte ist. Aber als der Werkstattinhaber das Geschäft seines Lebens witterte und schlanke 4.000 EUR aufrief, entschied ich: Er bleibt wohl besser Geschichte.
Stattdessen begleitete mich die kommenden Jahre immer wieder die Idee, zwar nicht "diesen 9-3", aber "so einen 9-3" zu kaufen. Hin und wieder tauchte mal ein Inserat auf. Aber kein Angebot entsprach wirklich meiner Vorstellung. Die meisten gut erhaltenen Autos waren spätere Anniversary-Modelle. So einen hatte ich ja zeitweise als Pendel-Alltagsauto parallel zum 9000 gefahren. In rot als Coupé. Er war ein gutes und zuverlässiges Auto. Aber es war mit ihm nicht dasselbe wie mit meinem ersten 9-3. Der wesentliche Grund: Sie verwendeten für diese Ausstattung anderes Leder. Und das roch auch anders. Es wollte sich einfach kein vergleichbares "Willkommen Zuhause"-Gefühl einstellen.
Ein einziges Mal kam ich der Sache nahe. Saab Etehad in Halstenbek hatte einen 1999er Saab 9-3 in der Ausstellungshalle stehen. Als fünftürigen SE in Silbermetallic mit der 2.0i-Maschine. Knappe 100.000 hatte er gelaufen, leider hatte er ein Schaltgetriebe, aber dafür war er ideal erhalten. Mehrmals kreiste ich in der Ausstellungshalle um den Wagen herum, setzte mich immer wieder rein und dachte: Das ist er. Aber der Verkäufer wollte bei den aufgerufenen 5.900 EUR nicht mit sich reden lassen. Ich hatte sicher manche Forendiskussion zum Thema Preis im Hinterkopf und dachte: "Ich will doch nicht der erste Trottel sein, der sechs Scheine für einen silbernen 9-3 mit der 130PS-Maschine auf den Tisch blättert." Und so konnte ich mich nicht durchringen. Als jemand anderes zuschlug, bereute ich es sofort wieder. Ich fuhr noch mehrmals hin und betrachtete den Wagen auf dem Hof, der längere Zeit auf seine Ausfuhr nach Mallorca wartete, wo er nun als Zweitwagen in der Finca läuft. Wieder hatte ich wegen ein paar hundert Euro die falsche Entscheidung getroffen.
Und nun? Nun sitze ich in meinem neuen 9-3 und weiß, dass ich diesen Kauf nie bereuen werde. Ich entdeckte das Inserat vor einem guten Monat. Mein 9000 Aero stand in Paderborn und wartete auf seine Überstellung nach Österreich. Was nach ihm kommen sollte, wusste ich noch nicht so genau. Nur, dass es mal Zeit für was Anderes wird. Ich klickte mich immer wieder durch die Bilder der Anzeige und dachte: Der ist ja zu schön, um wahr zu sein. Irgendwann schrieb ich dem Besitzer eine Mail und sagte: Ich könne sein Auto zwar erst in drei Wochen kaufen, weil ich zunächst meinen Aero nach Wien bringen muss, aber ich wolle schon mal sagen: Der 9-3 gefalle mir sehr, und ich würde mich freuen, wenn er dann noch da wäre. Einen Tag später schrieb er mir eine SMS und bot an, mich nach der Arbeit mit dem Auto in Hamburg abzuholen und mit mir zur Garage nach Norderstedt zu fahren, damit ich mir den Saab schon mal anschauen kann. Typisch Saab-Fahrer. Während der Fahrt erzählte er mir, er habe drei Saab 9-3 - zwei Cabrios und die Limousine. Drei seien einfach einer zu viel. Er habe sie alle inseriert, aber Nachfrage erziele nur der 5-Türer. Er selbst habe ihn vor drei Jahren aus einer Laune heraus einem alten Psychiatrie-Professor aus der Garage in Bielefeld gekauft. Als wir in Norderstedt ankommen und das Garagentor hochgeht, klappt mir der Unterkiefer runter. Vor mir steht ein Neuwagen. Ich laufe nur einmal um den Wagen rum, betrachte und betaste pflichtschuldig die hinteren Radläufe, setze mich hinters Lenkrad und sage: Ok, den will ich. Der Saab ist abgemeldet, eine Probefahrt ist unmöglich. Aber wenn man ein solches Ausnahme-Auto vor sich hat, dann weiß man es. Der Besitzer und ich vereinbaren, dass er den Wagen die nächsten drei Wochen für mich reserviert. Weil er merkt, dass ich es ernst meine. Typisch Saab-Fahrer.
Tja, und nun ist er seit Donnerstagabend bei mir. Bevor wir den Kaufvertrag machten, fuhren wir noch einmal in die SB-Waschanlage ("Ich will dir den Wagen nicht staubig übergeben"), korrigierten den Luftdruck und machten eine Probefahrt. Ich merkte, dass es doch einen erheblichen Unterschied zu meinem ersten 9-3 gibt. Nämlich die Reaktion, wenn man aufs Gaspedal tritt. Subjektiv steht die Leistungsentfaltung dem 9000 Aero nicht nach, gerade die Koppelung mit der Automatik verstärkt noch den Eindruck souveräner Kraftentfaltung. Hinzu kommt: Nichts klappert, nichts zirpt, ich finde an dem Auto einfach nicht den geringsten Makel. Immer wieder schweift mein Blick durch den Innenraum auf der Suche nach einem kleinen Fleck, einer kleinen Schramme im Plastik: Nichts. Nicht einmal an den beigen Türverkleidungen. Wie ist sowas möglich, frage ich mich immer wieder? Haben sich die Vorbesitzer hier vor jeder Fahrt Gefrierbeutel über die Schuhsohlen gezogen? Fuhren sie nur mit beigen Hosen und cremten die Sitze nach jeder Fahrt mit Penaten ein? Bis zum Schluss denke ich: Hoffentlich überlegt es sich der Eigentümer nicht anders. Wer so ein Auto verkauft, muss spüren, dass er so ein Auto nie wieder kaufen kann. Und als wir den Kaufvertrag unterschrieben haben und ich später alleine in meinem neuen Saab sitze, kann ich mein Glück gar nicht fassen.
So ist es auch jetzt, drei Tage später. Ich kann einfach mein Glück nicht fassen. Jedes Mal, wenn ich dieses Auto sehe, denke ich: Das gibt es doch gar nicht. Das kann es gar nicht geben. Die sechs Jahre 9000 Aero waren gute Jahre in meinem Saabfahrer-Leben. Ich habe diesen Wagen sehr gemocht und sehr genossen. Aber er war immer auch ein bisschen wie ein Anzug, der für jemand anders geschneidert war. Jetzt steige ich in meinen 9-3 und schlüpfe in den Maßanzug, der exakt für mich geschnitten ist. Ich bin wieder angekommen. Auch wenn ich beim Autofahren nur noch beige Hosen tragen kann.
Wahr ist aber auch: Der schlichte Umstand, dass ich Jahre gebraucht habe, um auf so einen guten 9-3 zu stoßen, legt die Frage nahe, ob ich ihn wirklich ganzjährig im Alltag benutzen sollte. Manche Autos sind in einem derart guten Zustand, dass dieser Zustand auch eine Verpflichtung ist.
Wieder einmal denke ich also über ein Winterauto nach. Vielleicht schreibe ich doch nochmal an die Werkstatt in Mainz und frage sie, ob sie ihre Preisvorstellung für meinen ersten 9-3 mittlerweile südwärts korrigiert hat? Unwahrscheinlich ist es. Aber versuchen könnte man es ja mal. Meine Werkstatt in Paderborn hat einen skarabäusgrünen 9-3/I 5-Türer mit beigen Stoffsitzen. Er wäre eigentlich die ideale Ergänzung für die Wintermonate. 180.000km gelaufen. 2.0i mit Schaltgetriebe. Karosserie in gutem Zustand. Gut erhalten, wenn auch nicht verhätschelt. Den angedachten Preis finde ich etwas hoch. Aber da kann man vielleicht nochmal drüber reden. Oder aber ich mache mal einen Abstecher nach Frankreich, zur Marke meiner Kindheit?
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