Ich würde es nach den ersten Tagen mit dem Julchen mal so zusammenfassen:
Mit einem SAAB wären sehr viel mehr Leute glücklich geworden, wenn sie sich einen SAAB nur einfach mal getraut hätten.
Mit einem Alfa Romeo werden nur die Leute glücklich, die wirklich (!) einen Alfa Romeo wollen - mit allen Konsequenzen. Auf keinen Fall sollte man einen Alfa nur deshalb kaufen, weil er günstiger ist als ein Golf oder hübscher als ein Volvo V40.
Ich holte meine Giulietta am Dienstag um 14.30 Uhr beim Händler ab, um 16.30 Uhr war ich dann schon wieder da. Ein Abblendlicht funktionierte nicht. Nun dachte ich in meiner Naivität: Da muss nur eine Birne gewechselt werden. Bis ich dann im Autohaus durch die Glasscheibe in die Werkstatt spähte, wo sechs Leute engagiert diskutierend und gestikulierend um den geöffneten Motorraum meiner Italienerin standen. Der Werkstattleiter war schließlich den gesamten nächsten Tag damit beschäftigt, Steckverbindung für Steckverbindung zu prüfen, um den Fehler zu finden. Während ich auf gepackten Koffern saß.
Zwei Tage später stand ich spätabends in Saint-Malo am Drive-In Schalter von McDonalds (leider hatte am Feiertag nix anderes mehr auf). Ich drückte aus Versehen auf den Schalter für den hinteren Fensterheber. Die hintere Seitenscheibe fuhr runter… aber nicht wieder hoch. Genauer: Sie fuhr ein Stückchen hoch und dann selbstständig wieder runter. Zündung aus, gedanklich bis zehn gezählt, Zündung wieder an. Siehe da: Das Fenster ging wieder, als sei nix gewesen. Ich verbuchte es als Revolte der italienischen Diva dagegen, dass sie ihren hübschen Hintern in die Warteschlange vor einem amerikanischen Fastfood-Restaurant klemmen sollte. Quando è troppo è troppo!
Das mit den Elektrohelfern und dem kuriosen Verhalten kann ich also bestätigen. Nur bin ich unfähig, es dem Auto übel zu nehmen. Dafür sind seine Stärken zu bestechend.
Eigentlich dachte ich: Das Beste an der Giulietta sei ihr Aussehen. Ich finde dieses Auto wirklich aus jeder Perspektive formal gelungen. Nothing compares. Doch nach der ersten 1.400km-Fahrt muss ich sagen: Das Beste an der Giulietta sind ihre Fahreigenschaften. Ich weiß nicht, was die Italiener machen, um aus dem 120PS-Benziner derart viel Bums zu holen. Fühlt sich eher nach 170PS an. Interessanterweise wirkt der Benziner übrigens potenter als der nominell gleichstarke Turbodiesel. Der Motorsound im Innenraum ist angenehm kernig, der Auspuffsound von außen schon ziemlich cool:-) Die Sitze haben (nach SAAB) den besten Langstreckenkomfort, den ich erlebt habe. Dazu eine ideale Sitzposition, ein schön griffiges Lenkrad, hübsche klassische Rundinstrumente, durchaus wertige Materialien im sicht- und fühlbaren Bereich. Vor allem aber: Fahrwerk und Lenkung sind großartig. Die Lenkung ist herrlich direkt, das Auto klebt auf der Bahn und zirkelt um die Kurven, dass es eine helle Freude ist. Ich habe wirklich sehr lange kein modernes Auto mehr gefahren, dass so viel Spaß bringt. Mehr, als man in einem gewöhnlichen Kompaktwagen je erwarten würde. Nach 1.400 Kilometern steige ich vielleicht nicht ganz so erholt aus wie aus einem SAAB, aber genauso gut gelaunt.
Ich würde sogar so weit gehen und sagen: Seit meinem SAAB 9000 Aero hat mich keine Neuanschaffung mehr so begeistert wie die Giulietta. Ich bin bereit, diesem Auto noch sehr viel zu verzeihen. Und ich denke: Genau das ist die Einstellung, die man für einen Alfa Romeo braucht.
Im Übrigen ist meine Giulietta mittlerweile auch zum Sondermodell Borghardt-Edition geadelt. Auf dem Weg nach Frankreich hielt ich wie üblich einmal im SAAB Zentrum Paderborn, um Guten Tag zu sagen. Dabei erzählte ich dem Senior-Chef, dass ich mir so eine Smartphone-Halterung auf die Lüftungsdüsen geklemmt hätte und fürchte, sie könne mir das schöne Armaturenbrett zerkratzen. Da griff er kurzerhand zu einem Blasenpflaster und isolierte die Halterung damit ab:-)
SAAB bleibt - nicht nur, aber auch wegen Borghardts - für mich stets die Marke erster Wahl. Ein Alfa könnte nie einen SAAB ersetzen. Aber ergänzen kann er ihn wunderbar.
Oder, wie einmal vor vielen Jahren der Werbepsychologe und SAAB-Fahrer Rainer Baginski in einem NZZ-Interview sagte: „Es gibt weltweit drei Differenzierermarken. Das sind Automarken, deren Käufer mit der Wahl ihres Autos bewusst oder unbewusst mitteilen wollen, dass sie anders sind als der Rest der fahrfähigen Welt. Diese drei Marken sind Alfa Romeo, Citroën und Saab. Citroën ist die Marke der Künstler, Alfa Romeo jene für die Frauenfreunde, die sich nicht binden mögen, die eine unberechenbare Geliebte einer zuverlässigen Ehefrau vorziehen. Und Saab ist die Marke der eher anonymen Intellektuellen und Selbständigen, etwa der Verlagsleiter, Journalisten und Architekten. Saab-Fahrer haben gewöhnlich ihre ganz eigenen Ansichten und Lebensgewohnheiten.“