Während Geschmäcker ja völlig unterschiedlich sein können und dürfen, Geld dabei eine völlig nachrangige aber häufig überschätzte Rolle spielt, es tatsächlich erkennbar gutes und schlechtes Design gibt und das wiederum etwas ganz anderes als Geschmack ist...
... hilft es vlt. ein wenig, das mal auseinander zu klamüsern.
Der persönliche Geschmack ist geprägt durch Sozialisation, eigene Träume oder Wünsche und der absolut legitimen Suche nach dem eigenen Glück. Dabei stehen rustikale Vorliebe, luxuriöse Schwelgerei oder sachliche Zurückhaltung erst mal völlig gleichberechtigt nebeneinander.
Es gibt aber bestimmte Prinzipien und Mechanismen, nach denen das ganze funktioniert. Das ist vor allem nonverbale Kommunikation. Diese Kommunikation findet zwingend statt, ob man will oder nicht, sobald sich zwei halbwegs wahrnehmungsfähige Wesen begegnen. Hund und Katze können das z.B. eindrucksvoll.
Um beim Auto als Kern der Sache zu bleiben: Jedes Detail an einem Auto transportiert nonverbal einen Inhalt, der auch auf den Fahrer oder Eigner projiziert wird. Diese 'Inhalte' sind tradierte Formen, durch Werbung etc. beeinflusste Wahrnehmungsmuster und eben auch durch die eigenen Sozialisation geprägte Bilder. Bevor jemand gleich an eine soziale Komponente denkt: nein, darum geht es (hier ) nicht.
Sozialisation:
Beispiel Auspuffendrohr
Die Herren überwiegend gepflegten Alters hier sind so aufgewachsen: Dünnes Röhrchen an der Seite: Popelkram. Doppelendrohr: Sechszylinder, gediegen, schnell. Zwei Endrohre, je eins links und rechts: V8 oder gar V12! Boah! Endrohr in der Mitte: Sportwagen, egal ob Mini Cooper oder E-Type. Die Gesamtzahl der Endrohre war immer auch eine (vermeintliche) Aussage über Leistung.
In den späten 80ern (nachdem plötzlich lauter doofe V6 die Endrohr-Nomenklatur verwässert hatten) kommt BMW auf die Idee, dieses Thema aufzugreifen und eins oben drauf zu setzen: Eckige Endrohre: V12 / Topendmodell. Damit hat BMW nichts anderes gemacht, als diesen bestehenden Konsens nonverbaler Kommunikation für eine konkrete Aussage zu nutzen.
Heute finden sich an jedem 2ten Auto mords aufgebrezelte Auslässe, hinter denen sich oft genug in der Tiefe nur ein schmales rostiges Endrohr befindet. Hier haben sich Inhalt und Gegenstand der Information völlig voneinander getrennt. Für die meisten Menschen dürfte das einfach völlig normal oder egal sein, mancher lässt sich davon vlt. tatsächlich blenden. Hinterfragt man es, muss man aber zu dem Ergebnis kommen, dass das Kulissenbau ist - irgendwie peinlich an einen Auto, oder?
Design:
Gutes Design ist nicht mit sachlich oder verspielt markiert. Gutes Design ist vor allem erst mal konsequent. Man kann Design hervorragend mit Sprache vergleichen. Folgt das Wort einem selbstständigen roten Faden? Gibt es Widersprüche oder nicht? Ist es verständlich oder unnötig kompliziert? Werden hohle Phrasen genutzt oder klare Aussagen gemacht? Welche Allgemeinplätze oder Versatzstücke werden zu Stützung der Argumentation genutzt? Welchen Hintergrund haben diese? Oder hat der Text eine besondere Sprachmelodie?
Betrachtet man die Sportcoupes der 30er Jahre, die mit langen, geschwungenen, dynamischen Formen und Proportionen die bisherige immer noch aus dem Kutschbau stammende Formensprache ablösten (und dazu mussten sie in die Länge gehen, denn konstruktiv waren sie noch nicht so viel weiter), transportierten sie einen begeisterten Maschinen- und Fortschrittsglauben, als wäre Geschwindigkeit und Kraft in eine Form gegossen worden. Das Design dieser Autos hatte sich tatsächlich emanzipiert und war zu einem eigenen Ausdruck gekommen. Das war gutes Design. Völlig egal dabei, dass es weder rechtwinklig noch sachlich oder bescheiden war.
In den 50er Jahren veränderte sich das Design in den USA und in Europa auf unterschiedliche Weise: Gemein waren Zitate aus der Luft- und Raumfahrt, in Europa war das Design jedoch eher durch Zweck und begrenzte Ressourcen geprägt. In den USA baute man die Autos noch wie vor dem Krieg, stülpte ihnen aber ohne Ende Bilder und Zitate von Raumgleitern über. Die Zweckmässigkeit einer Raumkapsel wurde mit Chrom-Unrat und dergleichen kaschiert, der reine, glänzende und blinkende Fortschritt sollte demonstriert werden. Beide Designs, das Amerikanische mehr als das Europäische, hatten recht wenig technischen Hintergrund. Es ging um die Wiederauferstehung, neue Zuversicht. Dessen Prototyp ist der Barock. Kein Wunder also, dass die 50er so barock daher kamen. Wo nichts da war (Europa: Ressourcen, USA: Technischer Fortschritt im Automobilbau), braucht es eben die Kulisse, um den intitialen Glauben an eine neue Zukunft befördern zu können. Solche Designs waren genaugenommen schlecht, weil ohne technischen Inhaltsbezug, mit Unmengen überflüssigem Lametta - aber zu ihrer Zeit gerechtfertigt und nachvollziehbar.
In den 60er und 70er Jahren veränderte sich das Design wieder grundlegend. In den USA baut man die Autos immer noch wie vor dem Krieg. Die Symbolik wurde jedoch fragwürdiger. Kühlergrills und Fronten wurden aus Versatzstücken der Antebellum-Architektur zusammengesetzt. Jener Architektur, die über viktorianische bis klassisch-griechische Vorbilder Ausdruck und Statement der Vor-Bürgerkriegs-Südstaatler war - und zwar der Plantagenbesitzer und Sklavenhalter. Diese Designs waren nie durchdacht, sie waren schwach und blendeten mit einem fragwürdigen american spirit über den immer noch ausbleibenden Fortschritt im Automobilbau hinweg.
Ganz anders in Europa. In England, Frankreich, Italien und auch in Deutschland entstanden die mit bezauberndsten Karossen des letzten Jahrhunderts. Und zwar von der Kleinserie bis zum Massenprodukt. Maßstäbe setzen Merzedes mit der formalen Umsetzung der selbsttragenden Krosserie, Chrashtest, Sicherheit, BMW schuf die 'neue Klasse', Citroen goss Gott in Frankreich in Form und Italien perfektionierte die Verschmelzung von Gestalt und Pragmatismus. Der Mini in England war ein ingenieuser Geniestreich, der 911 wurde zur ikonischen Form des Sportwagens. Hinter all diesen Designs standen handfeste technische Fortschritte, die direkt und erkennbar in der Formgebung transportiert wurden. Das war vom Mini bis zu den großen Limousinen nahezu durch die Bank hervorragendes Design.
In den ausgehenden 70ern, in den 80ern und mit voller Wucht in den 90ern gingen die visuell vermittelbaren Fortschritte aus. ABS, Airbag, Kat... Gleichzeitig fanden sich kaum noch übergeordnete Gestaltungsthemen wie noch in den 60ern die Raumfahrt.
In klaren, konsequenten Schritten verlor das Design die Spur. Merzedes verirrte sich mit der S-Klasse in bräsig-kantigem Größenwahn, Ford und Opel entfernten scheinbar jeden Gestaltungswillen von ihren Produkten, genauso Renault, Citroen, Peugeot, Fiat. Jaguar hielt mit dem XJ noch lange dagegen, Audi besann sich auf den technischen Ursprung und Alfa feierte ein Comeback des dynamischen Schwungs. Ansonsten? Fürchterliches rundgelutschtes Einerlei. Schlechtes Design. Ganz schlechtes.
Mit den 2000ern wurde es erst mal nicht viel besser. Lancia dengelte sich zielorientiert seine Sargnägel zurecht, Citroen wurde noch belangloser, BMW begann sich in unsinnigen Linienführungen und Falzen zu verlaufen. Wer noch ein Signal setzen wollte ging in Richtung Arschlochdesign (BMW X6 udgl.) und schiere Größe und Wucht. Erst mit den letzten Jahren kehrte so etwas wie Besinnung wieder ein. Die neue Designlinie von Merzedes ist kleinteiliger, zurückhaltender, Citroen fand wieder Mut zur Fantasie (DS), Jaguar schuf nach zwei Scheusslichkeiten ein perfekt proportioniertes Sportcoupe etc.
Geschmack (-ssicherheit):
Wähle ich ein Auto jenseits der Funktionalität eines Fiat Panda, ist es wie ein Stück Kleidung. Ob ich es will, beabsichtige oder auch nicht. Wähle ich ein Auto unsinniger Größe und Gewicht, kommuniziere ich damit Überlegenheitsanspruch. Das bezieht sich nicht auf die reine Größe, man vergleiche einfach einen Defender mit einem X6.
Wähle ich ein (heutiges) Auto, das barocken Zitaten huldigt (damit sind nicht geschwungene, üppige Linien gemeint!), tue ich das ohne die dem Barock (nach dem 30 jährigen Krieg wie in den 50er Jahren) zugrundeliegende Verlusterfahrung und -Angst. Ich lege mir einfach ohne Sinn und Verstand für das, was da vor mir steht, einen mit Symbolen von Not und Überleben beladenen Gegenstand zu. Zudem mit den Symbolen und Kulissen derer, die im Hochbarock mit vergoldeten Gipsputten nur so um sich schmissen: Absolutisten und Klerus. Ich hab keine Ahnung dass das der Aufzug von Allmachtsansprüchen und Unterdrückung ist: Geschmacksverirrung - die (in dieser Form) erstaunlicherweise im Höchstpreissegment am ehesten Anklang findet.
Wähle ich ein Auto wie einen Citroen Pluriel, trage gelbe Hosen und einen roten Hut, dann bin ich auf der sicheren Seite. Muss keineswegs jedem gefallen, aber ich bleibe mir treu, kommuniziere fröhlich 'interessiert mich nicht'. Schräg, aber orientierungslos geschmackssicher.
Mit Geld hat das alles also sehr wenig zu tun. Eher damit, ob man sich von Barockkulissen, martialischen Dominazbotschaften, zurückhaltender Unscheinbarkeit, dem eigenen Interesse an bestimmter Technik, einer hohen Zweckmässigkeit im Allgemeinen oder Besonderen, ehrlichem, nicht blendenden Design oder auch von gar nichts dergleichen angesprochen fühlt.
Wenn man sich ein Fahrzeug zulegt, das nonverbal beredt ist, sollte man sich imho im klaren darüber sein, was die Aussagen sind. Frei entscheiden kann man ja trotzdem. Nur sollte man sich darüber im klaren sein, dass es nicht ein einziges von Intelligenz geprägtes Argument für einen H4 gibt. Das erträgt man dann halt (am besten gelassen) oder kauft sich einfach einen Unimog :)