Onkel Kopp Ihm seine Räder - Teil 3
Juchem Custom Fullsuspension (Modell 2007) – Das Flaggschiff
Rahmenmaterial: Aluminium
Gabel: Fox F80 LT
Dämpfer: DT Swiss SSD 210
Bremsen: Magura Louise FR hydraulische Scheibenbremse
Schaltung: Shimano Deore XT
Laufräder: Shimano Deore XT/DT Swiss
Sonstiges: Ritchey WCS Anbauteile
Als das 10-jährige Jubiläum des Canyon nahte, reifte in mir der Entschluss, dass es in absehbarer Zeit noch einmal ein neues Bike geben sollte. Es sollte sportlich, aber trotzdem tourentauglich sein, komfortabel und nicht zu modisch. Made in Germany wäre cool, das gibt es heute nämlich kaum noch. Es sollte auf jeden Fall selten und individuell sein, Massenhersteller wie Canyon, Cube oder Stevens schieden aus. Ich gestehe aber, dass ich immer mal wieder auf die Canyon-Homepage gegangen bin, weil ich mit meinem so zufrieden war und die neuen von Design und Preis-Leistung her gesehen top sind.
Letztlich kristallisierten sich zwei Konzepte heraus:
- Aluminium-Fullsuspension (Bergwerk, Fusion, Juchem, Nicolai)
- Klassisches Stahl-Hardtail (Fusion Retro, Nöll M3, Norwid Thyra, Germans Team, oder aber ein italienisches Scapin Blato)
Die Alu-Fullys aus deutscher Produktion waren in ansprechender Ausstattung preislich über meinem Limit - und ein Canyon von der Stange wollte ich dann doch nicht mehr. Also lief es allmählich auf ein Stahl-Hardtail hinaus, der höhere Komfort im Vergleich zum Alurahmen und die klassisch-filigrane Optik sagten mir sehr zu. Objektiv betrachtet brauche ich auf den Strecken, die ich gewöhnlich fahre auch keine Vollfederung. Im nahe gelegenen Roetgen gab es einen der wenigen Scapin-Händler in Deutschland, und auf die Edelschmiede aus Italien hatte ich mich schon eingeschossen, bis…
…ja bis ich eines Tages noch einmal aus einer Laune heraus auf die Homepage der kleinen Familienschmiede Juchem in der Eifel ging. Und dort fand ich im Herbst 2007 überraschend ein verlockendes Angebot: Ein Custom Fullsuspension-Vorführrad mit den Komponenten aus dem just abgelaufenen Modelljahr 2007, angeblich nur ca. 200-300 km gelaufen. Rahmenhöhe 52 cm - passt. „Sportliche Tourengeometrie“ - passt. Gute Ausstattung - passt. Gepulvert in einem schönen blaumetallic - passt. Da es gebraucht war, passte auch der Preis - er betrug das, was normalerweise allein der Rahmen kostet. Dazu muss man sagen, dass einem das Custom FS normalerweise auf den Leib geschneidert wird, man gibt Körpermaße, Gewicht und Einsatzgebiet an, und der Rahmen wird entsprechend aufgebaut. Zudem werden die Schweißnähte verschliffen, so dass der Rahmen wie aus einem Guss wirkt.
Ich fing an, nervös auf meinem Bürostuhl hin und her zu rutschen. Eigentlich wollte ich mir erst ein oder zwei Jahre später ein neues Bike kaufen, aber das hier passte wie die Faust aufs Auge. Also rief ich an und hatte Schweißer Werner Juchem selbst am Telefon. Das Rad sei schon länger angeboten, aber bislang seien alle Interessenten entweder zu klein oder zu groß für das Rad gewesen; er würde nur an jemanden verkaufen, dem das Rad passt. „Wie groß sind Sie?“ war dann auch die nächste Frage. „1,85 m, meine Schrittlänge beträgt ca. 92 cm, wenn ich mich recht erinnere“, antwortete ich. „Das würde ja passen“ entgegnete Herr Juchem. Also machten wir einen Termin aus. Ich lieh mir von einem Arbeitskollegen einen Kombi (meinen 9-5 hatte ich da noch nicht), organisierte die Kohle und fuhr los.
Gefühlt residieren die Juchems am Ende der Welt, in einem Ortsteil, der nochmals 2 km außerhalb eines sowieso schon abgelegenen Ortes in der südlichen Eifel liegt. Ich fand ein Holzhaus vor, die Werkstatt war in das Wohnhaus integriert. Eine Fahrradproduktion stellt man sich irgendwie anders vor - kühler, weniger gemütlich. Ich wurde freundlich empfangen und Werner Juchem testete gleich, ob das Rad grundsätzlich passt - und es passte. Ohne viele Worte zu verlieren, wurde ich mit einer kurzen mündlichen Wegbeschreibung der näheren Umgebung auf eine Probefahrt geschickt. Ich fühlte mich auf dem Rad sofort zu Hause, als wäre ich schon mehrere hundert Kilometer damit gefahren. Beeindruckend fand ich das Rad an Steigungen. Denn obwohl man relativ aufrecht auf dem Rad sitzt und sich der Radstand kurz anfühlt, klebt das Vorderrad förmlich am Boden. Keine Tendenz zum Aufsteigen des Vorderrades festzustellen.
Nach meiner Rückkehr schilderte ich vermutlich sogar leicht euphorisch meine Eindrücke und erntete ein vielsagendes Lächeln des „Schöpfers“. Anschließend quatschten wir an Werner Juchems Schreibtisch noch ein wenig. Er erzählte von seiner Konstruktions-Philosophie, warum sein Rad so ist wie es ist. Schließlich wurden Alu und Stahl gegen bedrucktes Papier der EZB getauscht. Das Juchem Fully ist in seinen Grundzügen bereits seit Anfang/Mitte der 90er auf dem Markt. Ich finde, es ist ein zeitloser Klassiker. Mir gefällt vor allem das Design des Hinterbaus. Manche empfinden das Fully als bieder. Mag sein, im Vergleich zu einem Fusion oder Nicolai ist das Juchem weniger „stylisch“. Ich mag es trotzdem.
Das Juchem ist reines Sport- und Tourengerät und wird im Alltag nicht benutzt, deshalb kommen auch nicht so viele Kilometer zusammen wie beim Canyon, das bei trockener Witterung für alles und jedes benutzt wurde. Generell lässt sich sagen, dass Vollfederung schon eine feine Sache ist - hauptsächlich weil es einfach komfortabel ist. Aber auch fahrdynamisch bringt das Vorteile. Auf mit Wurzeln gespickten Passagen kann man die Bremse eher mal links liegen lassen. Ehrlich gesagt kann das Rad aber deutlich mehr als ich normalerweise abrufe, das ursprünglich geplante Stahl-Hardtail mit Federgabel hätte es auch getan.
Trotzdem: In puncto MTB bin ich hiermit am Ziel angekommen. Mehr brauch ich nicht, mehr will ich nicht. Passt. Lediglich der farblich passende Selle Italia SLR wurde gegen einen komfortableren Sattel getauscht. Einziger echter Mangel bisher: Die Einsätze zur Befestigung des Flaschenhalters am Unterrohr haben sich gelöst, eine Haltermontage ist jedoch noch möglich.