Ich weiß, es ist (nicht nur) in Corona-Zeiten schick und wird allgemein erwartet, dass in Deutschland alle Verantwortlichen und natürlich ganz besonders die Politiker ganz böse, böse und an allem Schuld sind. Dabei liegt die Sache etwas anders: Viele Deutsche bzw. natürlich viele der deutschen Politiker mit Regierungsgewalt versuchen alles richtig zu machen. Richtiger als alle anderen.
In den allermeisten Ländern, besonders jenen, in denen das Impfen schneller und besser funktioniert gilt einfach der Grundsatz: Unser Land geht vor! Das asoziale America first! hat sich längst weltweit ausgebreitet. Oder besser: Es war nie weg, aber es war auch noch nie so ausgeprägt wie heute. Deutschland ist einen Sonderweg gegangen: Impfdosen zunächst europaweit und schnellstmöglich weltweit gerecht verteilen und dabei finanzschwache Länder unterstützen. Anderen Ländern war das egal, lasst doch die armen Hunde erst einmal weiter verrecken bis wir in Deutschland Corona ausgerottet haben. Dann kann man ja beginnen, an andere zu denken. Also, wenn es unbedingt sein muss und dann überhaupt noch lohnt...
Ich finde den deutschen Weg grundsätzlich richtig. Ein typisch deutscher Fehler war und ist es, es allen recht machen zu wollen. Die Coronavirus-Impfverordnung (CoronaImpfV) ist z. B. ein typischer und leider gescheiterter Versuch, jedem seine Wunschausnahme zuzugestehen. Das hat man so weit getrieben, dass nun sinnvolle Ausnahmen nicht mehr umgesetzt werden können. Natürlich sieht man nachher, was falsch gemacht wurde, aber hinterher ist das immer leicht.
So wie beim Impfen ist es auch beim Lockdown, es wurde in bester Absicht ein ziemliches Durcheinander angerichtet, das zwar geholfen hat und noch immer hilft, aber an vielen Stellen reichlich unausgegoren ist.
Man kann es kurz und knapp sagen: Wer nicht nur an sich denkt, der hat es deutlich schwerer. Ich finde das aber besser als diesen ewigen Egoismus, egal wohin man schaut.
Nur meine ganz persönliche Meinung.
Gruß Michael
America first und auf andere Staaten abgewandelte Versionen lehne ich auch ab.
Das mangelhafte Krisenmanagement hat mehrere Ursachen. Einige Politiker verfolgen nicht konsequent
eine Linie, sondern winden sich je nach Volkes Stimmung hin und her, haben nicht zuerst die Lösung im
Auge, sondern wie sich das auf die nächste Wahl auswirken könnte. Dazu kommt, dass die Vertreter der
Länder ihre normalerweise legitimen Kompetenzen verteidigen, auch wenn es der Sache schadet.
Man muss aber auch zugeben, dass die Verantwortlichen im System und der typisch deutschen
Überbürokratisierung gefangen sind. Hinzu kommt die eigentlich sehr gute Gewaltenteilung in unserer
Demokratie, die aber in dieser speziellen Situation Richter ermutigt, streng nach Paragrafen und nicht nach
gesundem Menschenverstand zu urteilen (z.B. Genehmigung von Querdenker-Demos).
Dass nun ein ständiger Kampf zwischen Bund und Ländern stattfindet, erleichtert die Sache nicht. Und dass
durch Überbürokratisierung die Tests und Impfungen behindert werden, sogar Impfstoff verdirbt, statt ihn
an andere zu verimpfen, müsste man doch unterbinden können. Es wurden auch im Vorfeld Fehler gemacht,
z.B. die falsche Einschätzung benötigter Mengen usw.
Vor einem Jahr haben wir über eine Studie diskutiert, die sich mit dem Katastrophenfall und den einzuleitenden
Maßnahmen befasst. Offenbar hat das niemand gelesen oder gedacht, es sei reine Utopie. Hätte man dies
zum Anlass genommen, einen fertigen Plan in die Schublade zu legen, wäre man vielleicht professioneller
mit der Pandemie umgegangen.
Auch wenn ich nicht gerade ein Fan von Frau Merkel bin, hat sie heute Größe gezeigt, indem sie die gescheiterte
Osterstrategie als ihren eigenen Fehler bezeichnet und sich entschuldigt. Wieviele der anderen Politiker hätten
das getan? Leider sind zurückgenommene Entscheidungen keine gute Sache. Die Leute bekommen erst recht
den Eindruck, dass die Verantwortlichen selbst nicht wissen, was zu tun ist. Und es ist Wasser auf die Mühlen
der Verweigerer.