Rivalisierende Geschwister: Wie Vergangenheit und Zukunft von GM aufeinanderprallen
Der schlichte, uninspirierte Impala übertrifft den scharf gezeichneten, stark beworbene Malibu bei den Verkaufszahlen. Welcher der beiden wird den Überlebenskampf des wankenden Autoriesen überleben?
Von Ken Bensinger/16. Februar 2009
Seit einem Jahr singt General Motors nun das hohe Lied auf den neuen Chevrolet Malibu, der zum „Auto des Jahres 2008“ in Nordamerika gekürt und von GM-Chairman Rick Wagoner als „der beste Mittelklasse-Wagen, den dieses Land zu bieten hat“ angekündigt wurde. Zur Markteinführung gab GM fast 250 Millionen $ für eine Werbekampagne mit dem Slogan „Das Auto, das Sie nicht übersehen können“ aus.
Unterdessen produziert und verkauft GM jedoch in aller Stille eine in Größe und Preis ähnliche Limousine: den Chevrolet Impala. Für diesen Wagen hat GM in drei Jahren kein einziges Mal landesweit geworben, in Pressemitteilungen und Telefonkonferenzen mit Wall-Street-Analysten wird er konsequent nicht erwähnt und dass er zum „Flottenauto des Jahres“ gewählt wurde, hat GM weitgehend für sich behalten.
Trotzdem kamen im vergangenen Jahr auf zwei verkaufte Malibu drei Impala. Ohne Werbung und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt kam der ärmliche Impala auf 265.840 Zulassungen und brachte es damit zur meistverkauften Limousine aus US-Produktion und zu einem 8. Platz in der Liste der meistverkauften Autos insgesamt. Damit übertraf er sogar die Verkaufzahlen des Dodge Ram Pickup deutlich.
Am Dienstag nun wird GM dem Finanzministerium seinen Restrukturierungsplan vorlegen – ein Dokument, das erklären soll, wie der Konzern seine Schulden und seine laufenden Kosten reduzieren kann und weshalb das Unternehmen, das bereits 9,4 Mrd. $ an staatlichen Krediten erhalten hat, weitere finanzielle Hilfe vom Staat verdient hat.
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Branchenexperten bezweifeln jedoch, dass frisches Geld aus Washington, die angekündigten Kostensenkungen und der Abbau von Schulden ausreichen, um GM zu retten. Der viel zu große Konzern, so die Analyse, hat viel zu große strukturelle Probleme: Zu viele Händler, zu viele Überkapazitäten und zu viele Modelle erzeugen Kosten, die jede Aussicht auf Gewinn zunichte machen.
Der Impala und der Malibu, die in vielen Ausstellungsräumen nebeneinander um Kundschaft buhlen, stehen für die grundsätzlichen Probleme von GM und geben eine Vorstellung davon, wie schwer es sein könnte, den Konzern zu retten.
„Diese beiden Autos sind Symbole für das alte und das neue General Motors“, sagt Jesse Toprak, Senior Analyst bei Edmunds.com: „Wenn sie ihre Unternehmenspolitik wirklich ändern wollen, muss der Impala verschwinden – aber wieso sollte man ein Modell einstellen, das sich ganz ohne Anstrengung so gut verkauft?“
Alt gegen neu
Wenn der Malibu – ein schick gezeichneter Wagen, der entwickelt wurde, um mit dem Toyota Camry und dem Honda Accord zu konkurrieren und um GM ein neues Image zu geben – das neue GM darstellt, dann ist der Impala so etwas wie ein Dinosaurier, der aus der schlechten, alten Zeit übrig geblieben ist, in der GM-Erzeugnisse als rollende Rostkübel gefürchtet waren.
Der aktuelle Impala basiert auf einer 20 Jahre alten Plattform und wurde 2005 eingeführt, um gegen Autos wie den Toyota Avalon anzutreten. Autotester beschreiben den Wagen mit seinem schlichten, uninspirierten Innenraum und der glanzlos gestylten Karosserie als rückständig, billig und langweilig. GM-Manager behaupten allerdings, man habe mit dem Impala bewusst keinen Hingucker auf die Räder gestellt.
Tatsächlich ist der Wagen eben wegen seines Allerweltsdesigns, seines sparsamen Umgangs mit Sprit und seiner Kundenfreundlichkeit (es gibt sogar die Wahl zwischen Einzelsitzen oder einer Sitzbank vorne) bei Polizeibehörden, Autoverleihern und anderen gewerblichen Käufern beliebt.
Ed Peper, General Manager von Chevrolet, berichtet, dass mehr als die Hälfte aller Impalas, die GM im vergangenen Jahr absetzen konnte, sogenannte Flottenverkäufe waren, die beim Malibu weniger als 20 Prozent ausmachen. Den Impala nennt der Manager „sehr profitabel“, obwohl auf Flottenverkäufe meistens hohe Nachlässe gewährt werden, die auch auf die normalen Händlerverkaufspreise drücken.
In den Ausstellungsräumen der Händler konkurriert der Impala unmittelbar – mit dem Malibu. Auf der Website Edmunds.com finden sich Daten, nach denen ein Drittel der Impala-Käufer zunächst den Kauf eines Malibu in Erwägung gezogen hatte.
Und obwohl der Listenpreis des Impala mehr als 3.000 $ über dem des Malibu liegt, werden beide Modelle am Ende durch Rabatte und Lockangebote fast zum gleichen Preis (zwischen 19.000 und 22.000 $) verkauft, wie J.D. Power & Associates ermittelt hat. Weil der Impala den größere Kofferraum und mehr Kopffreiheit bietet, entscheiden sich dann viele Käufer schlicht für das größere Auto, so die Beobachtung der Händler.
„Vermutlich hätte GM ohne den Impala viel mehr Malibus verkaufen können“, mutmaßt George Peterson, Präsident des Meinungsforschungsunternehmens AutoPacific. Er ist der Ansicht, dass ein Modell wie der Impala die Ressourcen von GM überfordert.
Eine Studie, die AutoPacific letzte Woche präsentierte, zeigt, dass im Durchschnitt des vergangenen Jahres von den 60 verschiedenen GM-Modellen jeweils weniger als 50.000 Stück verkauft wurden, während die 14 Honda-Modelle durchschnittlich auf jeweils 102.000 Stück kamen.
Um ein profitables Unternehmen zu werden, so Peterson, müsste GM mehr als zwei Dutzend Modelle und die Hälfte seiner US-Marken einstellen. „Die haben zu viele verschiedene Produkte – und einige davon sollte es schlicht nicht geben“, sagt Peterson.
Schwierige Entscheidungen
Doch es ist schwierig, solche Einschnitte vorzunehmen: GM hat in den USA mehr als viermal so viele Händler wie beispielsweise Toyota. Und die machen Druck auf den Konzern, die ganze Bandbreite an Fahrzeugen anzubieten.
„Für mich wäre es ein Problem, wenn GM nicht beide anbieten würde, den Impala und den Malibu“, sagt Pete Johnston, der Inhaber einer Vertretung für Chevrolet und Cadillac in Paso Robles, Kalifornien: „Ich habe gerne ein vollständiges Sortiment im Angebot.“
Um die Händler zufrieden zu stellen hat GM jahrzehntelang am Aufbau einer gigantischen Infrastruktur für die Fahrzeugproduktion gearbeitet: In Dutzenden von Fabriken werden Modelle hergestellt, die sich – wie Impala und Malibu – oftmals gegenseitig kannibalisieren. Im Kern produziert GM identische Autos mit unterschiedlichen Markennamen, zum Beispiel den Chevy Silverado und die GMC Sierra Pickups oder den Buick Enclave, den GMC Acadia und den Saturn Outlook.
In seinen Fabriken beschäftigt der Konzern zehntausende gewerkschaftsgebundener Arbeiter, denen eine durch Tarifverträge eine umfassende Krankenversicherung und großzügige Betriebsrenten zugesichert wurden. In vielen Fällen muss GM seine Arbeiter sogar bezahlen, wenn eine Fabrik brach liegt. Darüber hinaus sind Kündigungen vielfach nur möglich, wenn darüber vorher ein Konsens mit den Gewerkschaften UAW und CAW herbeiverhandelt wurde.
Die festen Arbeitskosten haben zu Überproduktion geführt: GM lässt seine Belegschaft – unabhängig von der Nachfrage – einfach weiter produzieren und ist so gezwungen, die gebauten Fahrzeuge billig an den Mann zu bringen, entweder über Flottenverkäufe oder mit hohen Händlernachlässen. Nach Angaben von Edmunds.com wurden auf den Impala im vergangenen Jahr zeitweilig Rabatte von bis zu 4.000 $ gewährt.
Um eine Produktionsstraße zu planen und einzurichten sind enorme Investitionen erforderlich – weswegen in der aktuellen wirtschaftlichen Situation der Gedanke, GM-Werke auf die Herstellung anderer Modelle umzustellen, zum Rohrkrepierer wird.
Ebenso schwierig wird es für GM, sein Händlernetz zu verkleinern: Die Händler werden nämlich von den Gesetzen zur Konzessionsvergabe in den einzelnen Bundesstaaten geschützt. Als GM vor einigen Jahren die Marke Oldsmobile einstellte, musste der Konzern rund eine Milliarde Dollar an Abfindungen für die Vertragshändler zahlen.
Weil die Erlöse in den zurückliegenden Jahren dramatisch zurückgegangen sind, fehlen GM die finanziellen Möglichkeit sowohl für das Marketing seiner Produkte – siehe der Fall Impala – als auch dafür, die Autos auf der Höhe der Zeit zu halten.
Ed Peper von Chevrolet sagt, das Unternehmen werde dem Impala bis zu seiner Ablösung keine Modellpflege mehr angedeihen lassen, was bedeutet, dass der aktuelle Impala ein Jahrzehnt alt sein wird, ehe ein Nachfolger kommt. Wenn aber rückständige, veraltete Modelle im Angebot bleiben – wie es bei GM in der Vergangenheit zum Beispiel mit Autos wie dem Cavalier üblich war – dann kann das für das Image eines Herstellers desaströs sein.
Rob Kleinbaum, der ein Jahrzehnt lang bei GM gearbeitet und das Unternehmen 15 Jahre lang beraten hat, beschreibt das Ergebnis als „sich selbst verstärkender Teufelskreis, der dem Unternehmen schweren Schaden zufügt“.
Aber die gigantischen Investitionen, die erforderlich wären, um den Teufelskreis zu durchbrechen, verführten das Management dazu, eben nichts grundlegend zu ändern, sagt Kleinbaum: „Der Konzern steht vor extrem schweren Zukunftsentscheidungen, aber das Management hat in der Vergangenheit stets beschlossen, keine Entscheidung zu treffen“
Erst jetzt, wo es fast keine Zukunft für GM mehr gibt, zeigen sich erste Anzeichen eines Wandels.
Der erste Restrukturierungsplan, den GM dem Kongress im Dezember vorgelegt hat, sah eine Ausdünnung des Händlernetzes und die Konzentration auf vier der acht Marken auf dem amerikanischen Markt vor. Hummer und SAAB stehen demnach zur Disposition, Saturn könnte bald folgen.
Sollte der Konzern in der Lage sein, solche drastischen Einschnitte wirklich vorzunehmen, dann wäre das ein Schritt in die richtige Richtung. Aber es gibt Anlass daran zu zweifeln, dass das Management die Kraft dazu hat – und dass all das am Ende ausreicht.
GM hat 2008 auf dem US-Markt einen Rückgang der Verkaufszahlen um 23 Prozent hinnehmen müssen, der Konzern verlor in den ersten neun Monaten des letzten Jahres 21 Milliarden Dollar und hat seit 2004 keinen Gewinn mehr gemacht.
„Solange sich das Unternehmen nicht von Kopf bis Fuß total umstrukturiert, wird GM scheitern“, sagt Dan Gode, ein unabhängiger Wirtschaftsberater von der Universität New york, der das Geschäftsmodell des Autobauers untersucht hat.
Kurzfristig wird GM mit Geld aus Washington am Leben gehalten – und lässt unterdessen weiter massenweise Impalas und Malibus herstellen.
„Sie haben so viele Kinder“, sagt George Peterson, „aber sie können es sich eigentlich nicht leisten, sie alle durchzufüttern.“