GMs Ziel: SAAB soll wieder glänzen
Von Steven Prokesch
Erschienen am 24. Juli 1990
David J. Herman, der neue Geschäftsführer von SAAB Automobile AB, steht vor einer außergewöhnlichen Herausforderung: Er soll den verlustgeplagten Autohersteller im überfüllten Luxussegment zu neuer Blüte führen.
Der gebürtige New Yorker, ein Veteran mit 17 Dienstjahren bei GM, räumt ein, dass er nicht nur die Effizienz bei SAAB verbessern muss, damit das 50-Prozent-Engagements von GM Sinn macht, er muss sich dabei auch mit dem schwedischen Wohlfahrtsstaat anlegen: Einerseits hat das System den Arbeitern einen hohen Lebensstandard und nahezu Vollbeschäftigung beschert, andererseits verführt es zu hoher Personalfluktuation und einem Krankenstand von fast 20 Prozent.
„Es ist paradox, dass all diese gutaussehenden, gesunden Menschen sich krankmelden und nicht zur Arbeit kommen“, so Herman, „denn wenn sie arbeiten, dann stellen sie wirklich Produkte in hervorragender Qualität her. Mann, wenn man das richtig hinbekäme, könnte man wirklich etwas daraus machen.“
Um die Arbeitsmoral der Schweden zu stärken, hat die sozialdemokratische Regierung beschlossen, die schwindelerregenden Steuersätze zu senken und dabei eine Debatte über weitere Maßnahmen losgetreten. Und Herman, der im Januar zu SAAB kam, hat nicht vor, dabei vom Spielfeldrand zuzuschauen.
Er hat auch keine Wahl: Auf dem Spiel stehen nicht nur die 600 Millionen Dollar, für die GM 50 Prozent der Anteile an SAAB Automobile von SAAB-Scania AB übernommen hat, und die 100 Millionen Dollar an frischem Kapital, die GM beigesteuert hat. Es geht auch um die Zukunft von GM im europäischen Luxussegment, einem Feld, auf dem Amerikas führender Autobauer bisher erfolglos war. Eine Revitalisierung von SAAB könnte GM auch auf dem US-Markt helfen, wo die Marke Cadillac trotz einer gewissen Erholung keine rechte Anziehungskraft auf junge, finanzkräftige Kunden entfaltet.
Hermans Auftrag ist es, zu beweisen, dass GM richtig lag, als der Konzern die britische Marke Jaguar angesichts des hohen Kaufpreises der Ford Motor Company überließ. Einige Analysten glauben, dass Ford mit 2,38 Milliarden Dollar entschieden zu viel für Jaguar gezahlt hat. Andere sagen, der Name Jaguar sei unbezahlbar. SAAB habe zwar die moderneren Fabriken und die größeren Produktionskapazitäten, so die Einschätzung, der Name transportiere aber kein vergleichbares Prestige.
„SAAB ist ein europäischer Name, der bislang für fortschrittliche Technologie, Sportlichkeit und Individualität stand“, sagt Robert N. Murray, der Herausgeber von „Autocar and Motor“, einem britischen Magazin für Autofreunde, „wofür SAAB aber nicht steht, ist verschwenderischer Luxus“.
Die Finanzstrategie von David J. Herman zielt darauf ab, die Produktionskosten bei SAAB drastisch zu verringern. Seine Marketingstrategie sieht vor, SAAB fest im Segment der Luxusfahrzeuge zu positionieren. Dort, so die Hoffnung, sollen die Fahrzeuge als preisgünstige Alternativen mit BMW und Mercedes-Benz konkurrieren.
Die Pläne sehen vor, bis Mitte der Neunziger Jahre drei Modellreihen auf den Markt zu bringen. Für Ende 1993 ist der Nachfolger der 900-Reihe angekündigt, der zwischen 17.000 und 25.000 Dollar angeboten werden soll. Danach soll ein neues Topmodell kommen, das mit Preisen zwischen 35.000 und 55.000 Dollar als preiswerte Alternative gegen den 7er-BMW antreten soll. Und schließlich wird es für den 9000 einen Ersatz geben, der mit Listenpreisesn zwischen 25.000 bis 33.000 Dollar knapp unterhalb des 5er-BMW liegen soll.
Weitere Verluste in diesem Jahr
Allerdings schwächelt die Wirtschaft auf den drei wichtigsten Absatzmärkten von SAAB – in den USA, in Schweden und Großbritannien -, was es David J. Herman nicht leichter macht und darüber hinaus erklärt, weshalb SAAB in den ersten vier Monaten dieses Jahres einen Verlust von 163 Millionen Dollar eingefahren hat. Aus der Geschäftsführung von SAAB ist zu hören, dass man schon zufrieden sein müsse, wenn die Verkäufe 1990 an die 109.482 Fahrzeuge herankommen, die das Unternehmen im vergangenen Jahr absetzen konnte und mit denen SAAB bei einem Umsatz von 2,47 Milliarden Dollar 343,2 Millionen Dollar Verlust schrieb.
In den USA, dem größten Markt, setzte SAAB 1989 nur 31.306 Wagen ab – ein steiler Absturz gemessen am Jahr 1986, in dem das Unternehmen auf dem US-Markt 47.414 und insgesamt die Rekordzahl von 127.180 Fahrzeugen verkaufen konnte.
Aber in den guten Jahren war SAAB so sehr damit beschäftigt, die Nachfrage in den USA zu befriedigen, dass darüber die Entwicklung anderer Märkte, namentlich Westdeutschland und Frankreich, vernachlässigt wurde, die inzwischen andere Autohersteller unter sich aufgeteilt haben.
Das Erbe der Luftfahrt
General Motors bemüht sich, SAAB aufzuhelfen, ohne dabei die SAAB-Kultur und die Einzigartigkeit der Marke zu zerstören, die auf der Vergangenheit als Luftfahrtunternehmen gründet. Deswegen hat GM nur drei Manager zu SAAB entsandt: David J. Herman als Geschäftsführer, James P. Crumlish als Finanzchef und David West, den Chef der langfristigen Produktplanung.
Der Brite David West war früher einmal Designer bei Aston Martin, dem Hersteller von handgefertigten Hochleistungssportwagen, der nun Ford gehört. Die Erfahrungen von damals verbindet er mit 30 Berufsjahren bei GM in Europa, wo er zuletzt im Bereich Produktstrategie arbeitete.
James P. Crumlish ist Amerikaner und war zuvor Finanzchef bei dem kanadischen Joint-Venture von GM und Suzuki, das Kleinwagen und Nutzfahrzeuge herstellt, die GM unter dem Markennamen Geo vertreibt.
David J. Herman schließlich, der 1973 zu GM kam, hat sich schon in der Vergangenheit dadurch hervorgetan, dass er die Arbeitsproduktivität verbessert und die Einkaufskosten gesenkt hat.
Die Schlachten der Vergangenheit
Der 44-jährige Herman hat in der Vergangenheit schon schwere Schlachten geschlagen: Er musste mit der Wirtschaftsdepression in Chile zurechtkommen, die den Automarkt dort zum Erliegen brachte, und mit staatlichen Preisvorgaben in Kolumbien, die zwangsläufig zu Verlusten für die Autohersteller führten. Er half dabei mit, Spanien zu einem wichtigen Produktionsstandort für GM zu machen, und brachte belgische Fabrikarbeiter dazu, Zehn-Stunden-Schichten zu akzeptieren. Zuletzt war er Vorstand für Teile und Zubehör bei GM Europa. Nebenbei hat er mehrere Fremdsprachen gelernt und er hat fest vor, seinem Sprachrepertoire nun Schwedisch hinzuzufügen.
Die Verantwortung dafür zu tragen, dass GM nicht SAABs Seele stiehlt, lastet schwer auf Herman: „Ich treffe letztendlich die Entscheidungen über unsere künftigen Produkte“, sagt er, „und wenn das Team das nicht versteht, dann werden wir scheitern. Glauben Sie mir, daran erinnern wir uns gegenseitig jeden Tag.“
Größere Motoren geplant
Die turbogeladenen Vierzylinder-Motoren von SAAB liefern, gemessen an ihrer Größe, beeindruckende Leistungswerte, insbesondere die deutschen Autokäufer aber verlangen größere Maschinen. GM Europa entwickelt derzeit einen Sechszylinder und hofft, in vier Jahren auch SAAB mit einem entsprechend adaptierten Motor versorgen zu können.
Nicht nur bei den Motoren spielt die Modellpalette von SAAB nicht in derselben Liga wie Mercedes oder BMW: Der 900 wurde zwar seit seiner Vorstellung 1978 kontinuierlich verbessert, doch er braucht dringend einen Nachfolger. Der größere, teurere 9000, der 1984 vorgestellt wurde, leidet unter einem für SAAB eher ungewöhnlichen Nachteil: Seinem wenig markanten Äußeren. Darüber hinaus hat SAAB nichts im Angebot, was mit luxuriösen Oberklassefahrzeugen wie dem 7er-BMW konkurrieren könnte.
Die Hoffnung besteht nun darin, dass ein neues Modellprogramm SAAB in die Lage versetzt, die Verkäufe bis zum Ende des Jahrzehnts auf 180.000 Einheiten pro Jahr zu steigern. Langfristig sollen jährlich sogar 500.000 Fahrzeuge abgesetzt werden, womit SAAB auf Augenhöhe mit Mercedes-Benz und BMW wäre.
Die dringendste Aufgabe
Die vordringlichste Aufgabe aber wird es sein, die Produktionskosten zu senken, was unerlässlich ist, wenn SAAB wie geplant Ende 1991 ohne Verlust arbeiten soll.
Im Juni kündigte SAAB an, vier Komponentenwerke in Schweden und Norwegen zu schließen. Die Zahl der Beschäftigten sinkt damit um mehr als 1.300 auf 16.000. SAAB will so 35 Millionen Dollar pro Jahr sparen und es den Ingenieuren ermöglichen, sich wieder auf das zu konzentrieren, was einen SAAB ausmacht: Ein großer Innenraum, ein markantes Styling und starke, sparsame Antriebseinheiten.
Die schwedische Regierung hat SAAB unterdessen aufgefordert, verantwortungsvoll zu handeln und für die Entlassenen neue Jobs zu finden.
„Das sozialste, was ein Unternehmen für seine Mitarbeiter tun kann, ist zu überleben und zu wachsen“, sagte James P. Crumlish dazu in einem Interview.
Verlagerung der Produktion
Von dem zur Hälfte SAAB und zur Hälfte der finnischen Valmet gehörenden Werk in Finnland wird der größte Teil der 900-Produktion in eine neue Fabrik im südschwedischen Malmö verlagert. In der finnischen Produktionsstätte lässt GM Europe, das von Kapazitätsengpässen geplagt ist, künftig das neue Sportcoupé Calibra fertigen. Das SAAB-Stammwerk im westschwedischen Trollhättan wird weiterhin den 9000 bauen.
Auf diese Weise soll SAAB eine Produktionskapazität von 120.000 Fahrzeugen erhalten – und mögliche Gewinne aus der 900-Produktion müssen nicht mehr mit Valmet geteilt werden.
Zudem setzt David J. Herman auf die Durchsetzungskraft von GM gegenüber den Zulieferern, um künftig beispielsweise Stahl, Reifen, Batterien und Scheiben günstiger einkaufen zu können. Als Ziel hat er ausgegeben, die Einkaufskosten – derzeit rund eine Milliarde Dollar jährlich – innerhalb von vier Jahren um 20 Prozent zu reduzieren.
„Deutlich weniger effizient“
Die größte Herausforderung dürften aber die hohen Arbeitskosten sein: Eine Untersuchung des Massachusetts Institute of Technology (MIT) stellte fest, dass die Produktionszeit für europäische Luxusfahrzeuge im Durchschnitt 57 Stunden beträgt. „SAAB ist signifikant weniger effizient als der Durchschnitt“, sagt Daniel T. Jones, Professor für Fahrzeugindustriemanagement an der Universität Wales, der an der MIT-Studie beteiligt war, während der führende schwedische Hersteller Volvo deutlich besser als der Durchschnitt sei.
SAAB beginnt allmählich damit, seine Arbeiter nach Leistung und nach Betriebszugehörigkeit zu entlohnen – eine ungewöhnliche Idee in einem Land, das so lange den Egalitarismus gepflegt hat.
Damit sich die Arbeiter verantwortlich fühlen, hat SAAB Personalentwicklungsprogramme gestartet, bei denen die Beschäftigten an den Entscheidungsprozessen mitwirken können.
„Offensichtlich braucht es erst eine Krise, bevor sich etwas ändert“, sagt Peter Moller, der 37-jährige Produktionsdirektor: „Jetzt sind wir an der Reihe.“