"Einer unserer beeindruckendsten Verkäufer war Nilsson. Nilsson war Volksschullehrer. Während er die Kinder in dem alten Volksschulgebäude mitten in der Stadt unterrichtete, verkaufte er zugleich gebrauchte Autos, die kreuz und quer an der Straße vor der Schule parkten. Wenn ein Kunde an die Klassenzimmertür klopfte, gab Nilsson den Jungen eine Stillarbeit, ging auf die Straße und verkaufte ein Auto. Dem Oberlehrer gefiel es verständlicherweise nicht, dass Nilsson seinen Lehrerberuf mit einem florierenden Autohandel verband, aber seine Kritik verstummte, nachdem ihm eine kleine Provision für jedes verkaufte Auto angeboten wurde. Und seine Lehrerkollegen zeigten ihn nie eifersüchtig bei der Schulaufsicht an, da nahezu alle von ihm einen Gebrauchtwagen zu sehr vorteilhaften Konditionen vermittelt bekommen hatten. Im Polizeikommissariat sah man aus dem gleichen Grund darüber hinweg, dass die Autos die Straße vor der Schule zuparkten.
Ich war noch ganz neu in der Autobranche, als ich zu Nilsson geschickt wurde, um ihn davon zu überzeugen, dass er eine Filiale für uns eröffnete. Zum einen lebte er in meiner Heimatstadt, zum anderen war er auch mein Lehrer gewesen, als ich noch ein Schuljunge war. Es lag also nahe, dass ich ihn überreden sollte, den Lehrerberuf an den Nagel zu hängen und sich mit einem Autohandel zu etablieren - einen kleinen Laden zu mieten, statt die Wagen auf der Straße zu verkaufen. "Du kannst vorbeikommen wann du willst", sagte er mir. "Aber bitte komm während der Unterrichtszeit. Am Abend habe ich andere Dinge zu tun." Als ich an die Schultür klopfte, gab Nilsson gerade eine Geografie-Stunde. Eine große Karte von Grönland hing an der Wand, daneben hingen Fotos von einigen Eskimos, einem Hundeschlitten und einem Iglu. Ich betrat den Raum und die Kinder standen artig auf. Als Nilsson in die Hände klatschte, setzten sie sich wieder hin und betrachteten erwartungsvoll den Fremden auf der Türschwelle. Ein Schüler hob die Hand und fragte, ob ich schon einmal in Grönland war. "Ja", antwortete ich zu meiner eigenen Verwunderung. Warum ich das behauptete, wusste ich nicht, und bereute es sofort. Nilsson ergriff blitzschnell die Chance, mir die Unterrichtsstunde zu überlassen, während er nach draußen flitzte. Wahrscheinlich hatte er durch das Fenster einen Interessenten um ein Auto streifen sehen.
Kaum hatte ich angefangen, mir irgend etwas über Grönland auszudenken, betrat eine alte Frau mit einer Brille tief unten auf der Nasenspitze das Klassenzimmer, mager wie ein Eichelhäher und mit einem Blick, der einem die Seele durchbohrte. Ohne zu grüßen fragte sie nach Nilsson, und das in einem Ton, der verriet, dass die beiden nicht auf gutem Fuß miteinander standen. Als ich erzählte, er habe mir die Unterrichtsstunde überlassen, da ich schon einmal auf Grönland gewesen sei und deshalb besonders anschaulich davon berichten könne, hellte sich ihr Blick auf. Sie erklärte, sie komme von der Schulinspektion, zog sich einen Stuhl heran und sagte mir, ich solle mit dem Unterricht fortfahren. Ohne rot zu werden, log ich den Kindern weiter etwas von Eskimos vor. Zum Ende der Schulstunde ergriff die Inspekteurin meine Hand, bedankte sich und verließ den Raum. Als Nilsson wiederkam, war er ganz außer sich über die Nachricht, dass die Schulinspekteurin da gewesen war. Aber es gelang mir, ihn zu beruhigen, als ich sagte, dass der Unterricht doch insgesamt ganz passabel angekommen sei.
Natürlich nutzte ich die Situation zu meinen Gunsten aus, um anschließend mit Nilsson zu verhandeln. Es war ja offensichtlich, dass das so auf Dauer nicht weiterging mit der Schule und dem Autohandel. Nilsson erklärte jedoch, er wolle lieber weiter gebrauchte statt neue Autos verkaufen, außerdem besitze er weder einen Laden, noch habe er Personal. Er hätte sein Geschäft lieber in der Hosentasche, es funktioniere schließlich gut so. Wir setzten die Diskussion im nahegelegenen Hotelrestaurant fort. Es galt damals noch strenge Alkoholrestriktion. Nur wer ein Essen bestellte, durfte dazu ein Glas trinken. Aber als Nilsson das Hotel betrat, stand die Schnapsflasche bereits gegen alle Regeln auf dem Tisch. Als wir am nächsten Tag wieder in der Schule erschienen, waren wir beide müde und verkatert. Die Kinder wurden hinausgeschickt, um im Garten Löwenzahn zu pflücken, während wir im Klassenzimmer die Diskussion fortsetzten. Dabei tranken wir noch einen kleinen Absacker - aber erst, nachdem Nilsson die Klassenzimmertür von innen sorgfältig verriegelt hatte. Am Ende einigten wir uns: Nilsson sollte eine Handelsvertretung für uns übernehmen. Er sollte seinen Beruf als Lehrer aufgeben und so schnell wie möglich am Stadtrand einen Autohandel eröffnen. Die Geschäfte übertrafen die Erwartungen. Das Geld strömte hinein. Aber leider gelang es Nilsson, es genauso schnell wieder durch seine Kehle strömen zu lassen. Bei seiner Beerdigung wurde viel darüber gesprochen, wie sehr er seine Arbeit als Lehrer und als Autoverkäufer geliebt hatte. Erst da bereute ich, dass ich meinen Freund Nilsson überredet hatte, zu einem Vollzeit-Autohändler zu werden. Wäre er einfach Lehrer geblieben, so wäre er wohl glücklicher gewesen und älter geworden."
(Aus: Sten Wennlo - Mitt liv med Saab. Stockholm 1989)"