Ein Sommernachmittag in Paderborn. Ich bahne mir meinen Weg durch das geschäftige Treiben auf dem Hof des Saab Zentrums Paderborn und betrete die hintere Werkstatthalle. Die Halle, in der mein 30 Jahre alter Saab 900 Turbo 16s restauriert wird. Neben dem Auto steht mit dem Rücken zu mir Borghardt senior und ist in die Arbeit versunken. Ich rufe: „Guten Tag, Herr Borghardt, da bin ich mal wieder!“ Er dreht sich um, klopft mir freundlich auf die Schulter und sagt: „Ach, hallo! Schauen Sie, wir machen Fortschritte.“ Keine langen Begrüßungsrituale, Konzentration auf das Wesentliche. Als ob ich gestern erst da war. Ostwestfale und Hamburger in vollendeter Harmonie. „Ich habe dem Sattler gesagt, dass Sie kommen. 'Polstere bitte schon mal den Fahrersitz neu auf und zieh da einen von seinen holländischen Lederbezügen drüber', habe ich gesagt. Dann freut der Kunde sich. Schauen Sie, ist der Sitz nicht perfekt?“ Er ist es.
„Darf ich mich da auch mal draufsetzen, Herr Borghardt?“ Er nickt: „Moment!“ Er läuft zu einer Rolle mit Papierunterlagen, zieht ein Stück ab, breitet es sorgfältig auf der neuen beigen Fußmatte aus und sagt: „So, jetzt!“ Ich nehme Platz, lehne mich zurück und empfinde wie bei der ersten Begegnung sofort: Das ist das Auto meines Lebens. „Das neue Lederlenkrad ist toll“, sage ich. „Auf den Bildern sah es so wulstig aus. Aber jetzt liegt es perfekt in der Hand.“ Borghardt ist zufrieden: „Schauen Sie mal auf die neuen Pedalgummis. Und auf die Hupentasten. Die weißen Trompeten waren so abgewetzt. Die hat mein Sohn neu gemacht. Das Fach in der Mitte haben wir gerade ausgebaut. Sie wissen, da ist dieses große Ablagefach drin, das mit einer Art Nadelvlies ausgekleidet ist. Das war schon ganz abgescheuert. Aber ich habe jemanden aufgetrieben, der beflockt das neu. Jetzt bin ich gerade an einem Chromgrill dran. Die neuen Kotflügel habe ich nur mal provisorisch befestigt, damit sie einen Eindruck bekommen. Maschine und Getriebe habe ich beiseite gestellt. Erst einmal kommt die Karosserie dran. Die Achswellentunnel sehen schlimm aus. Aber ich habe ein Schlachtauto auf dem Hof, da sind die noch gut. Ich will da was machen, aber bin mit meinen Überlegungen noch nicht ganz am Ende. Tja, und der Lack … Ich bin noch unentschlossen. Vielleicht machen wir ihn doch einfach komplett neu.“
Ich hänge gedanklich immer noch an der Vokabel „beflocken“, während ich Heinz-Jürgen Borghardt in sein Büro folge. Wir trinken Kaffee und plaudern. Über die Vorbesitzerin meines Aero, die jetzt auch ihren zweiten Saab verkauft. Über den Junior, der gerade seine Urlaubszeit beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans verbringt. Über seinen Azubi, der das Studium der Politikwissenschaften gegen eine Kfz-Lehre eintauschte, und auf den er große Stücke hält. Schließlich springt Borghardt auf: „So, gehen Sie ruhig nochmal in die Werkstatt und fotografieren den 900. Ich habe noch ein Viertelstündchen was zu tun.“
Versonnen schleiche ich in der Werkstatthalle um den 900 herum, klettere wieder hinter das Steuer, schaue durch die steile Frontscheibe hinaus, taste nach dem Zündschlüssel in der Mittelkonsole, bin glücklich. Warum auch immer: Noch nie hat ein Auto in mir so einen Freiheitsimpuls ausgelöst wie dieses. Ich will einfach losfahren, weit, weit weg, mir unterwegs erst überlegen, wohin ich eigentlich fahre, und mir erst am Ziel überlegen, ob ich jemals zurückfahre oder einfach noch viel weiter fahre. Vor mir nur die lange Motorhaube und der Horizont. Mein Saab 9000 verströmt diese unerschütterliche Solidität und Behaglichkeit, dieses „Bei mir kann dir nichts passieren“. Aber mein Saab 900 (ja, langsam traue ich mich, ihm ein Possessivpronomen zu geben) scheint mir jedes Mal mit rauchiger Stimme zuzuflüstern: „Komm, Alter, lass uns abhauen.“ Sogar jetzt ohne Motor und Vorderachse macht er es. So sitze ich da und stelle mir vor, wie wir auf einer einsamen schwedischen Autobahn dem Nordlicht entgegenfahren, die steile Schnauze stolz im Fahrtwind ... und plötzlich wird mein Tagtraum von einem aufheulenden Motor vor der Werkstatthalle zerrissen. Schwungvoll kommt Herr Borghardt mit seinem Heiligtum zum Stehen. Dem getunten und gestrippten 9000, den er zusammen mit seinem Sohn für den Nürburgring gebaut hat. Weit über 400 PS, ein Urvieh, das immer nur in der Ausstellungshalle zu bewundern ist. „Ich dachte, ich hole den mal raus – für Sie als echten Saab-Liebhaber! Kommen Sie, wir drehen eine Runde!“ Ich klettere durch den Überrollkäfig in die Schalensitze und lege den Gurt an. Borghardt fährt sachte über die Landstraße. Dann tritt er auf das Gaspedal. So ungefähr muss sich das anfühlen, wenn unter einem eine Atombombe explodiert. Das Auto katapultiert uns nach vorne, der Turbo schnauft wie ein wütender Stier, und wir biegen mit halsbrecherischem Kurventempo auf die Autobahnauffahrt ein. Die Tachonadel schlägt am Skalenende an und der Wagen beschleunigt weiter. Ich lache und gluckse wie in der Achterbahn und rufe gegen den Lärm an: „Angenehmes Reiseauto auch bei hohen Geschwindigkeiten, so ein Saab 9000!“
Eine halbe Stunde später landen wir wieder auf dem Werkstatthof. Borghardt schlängelt sich mit seinen 34 Lenzen mehr eindeutig gelenkiger aus dem Überrollkäfig hinaus als ich. Ich folge ihm in die Ausstellungshalle: „Schauen Sie, das ist der 9000 CD, von dem ich Ihnen am Telefon erzählt habe.“ Vor mir steht eine elegante schwarze Limousine. Radkappen, Velourspolster, 2.3 Liter 16 Ventiler ohne Turbo und mit Automatik - nackt, wie Trollhättan ihn schuf. Der Wagen riecht wie neu und fühlt sich auch so an. Zeitmaschine pur. Ich bin verknallt. Mal wieder. Borghardt beobachtet mich schmunzelnd: „Die gute alte Paula D. hat ihn immer gut gepflegt. Bis zu ihrem Tod. Ich muss jetzt noch was machen. Schauen Sie sich in Ruhe um und kommen Sie zum Abschied nochmal rum.“ In der nächsten Stunde sieht man mich im Fünfminutentakt von der Werkstatthalle in die Ausstellungshalle und zurück laufen. Vom 900 Turbo zum 9000 CD und umgekehrt. Irgendwann kommt Borghardt zurück. „Der CD hat es Ihnen angetan, was? Wollen Sie mal fahren?“ Na klar will ich das! Er klemmt die roten Nummern dran, setzt sich hinter das Lenkrad und der Wagen erwacht beim ersten Schlüsseldreh zum Leben. Nach meiner festen Überzeugung ist ja das Anlassergeräusch eines Saab 9000 ohnehin eines der erhabensten Geräusche, die die Geschichte des Automobils hervorgebracht hat. Die schwarze glänzende Limousine gleitet aus dem Ausstellungsraum, Borghardt steigt aus und überlässt mir das Lenkrad. Wir cruisen in den plüschigen Velourspolstern über die Landstraße, die Komfortfederung bügelt die Straßen glatt (Ach, so kann ein 9000 auch federn, denkt der Aero-Fahrer), der alte Saab-Motor grummelt gedämpft im Hintergrund. Alles so stramm und fest. Neuwagengefühl. Baujahr 1992.
Einige Zeit später sitzen wir wieder in Borghardts Büro. Ich sage: „Nun gut. Jetzt mal rein theoretisch: Ich gebe Ihnen den Aero, und Sie geben mir die Paula. Wie viel würden Sie mir dann für das 900-Projekt gutschreiben?“ Er fragt zurück, was der Aero meiner Meinung nach wert ist. Ich nenne ihm eine Zahl. Er nickt, schreibt die Zahl auf eine Schreibtischunterlage, den Kaufpreis des CD darunter und dann den Betrag, der für die 900-Sanierung bliebe. Ich sage: „Ja, das ist fair. Aber ich muss darüber nachdenken.“
Zwei Stunden später rausche ich mit dem Aero über die A7. Die Abendsonne spiegelt sich in der glänzenden schwarzen Motorhaube, der Kilometerzähler knackt die 210.000-Grenze, und der Wagen bewegt sich mit der ihm eigenen Mühelosigkeit, Schwere, Ruhe und Souveränität über die Bahn. Nichts an diesem Auto ist überflüssig, albern oder schnörkelig. Alles ist gerade, sachlich, ernst, solide, durchdacht, ewig. Es wird fast unmöglich sein, zwischen der alten Liebe für dieses Auto und der neuen Liebe für den CD eine Entscheidung zu treffen. Aber das muss ich heute ja auch nicht mehr.
Aus den Lautsprechern singt der wunderbare Moritz Krämer melancholisch: „Warum ist eigentlich Aussterben nicht gut angesehen? Vielleicht birgt es in sich eine Lösung. Ich denke, sicherlich ist es widerlich, nicht abzutreten. Warum sollten Wale ewig sein? Um die Dinos hat niemand geweint. Solange ich noch hier bin, kann ich noch nicht ausgestorben sein, oder im Zoo, im Freigehege. Oder im Aquarium, bei den Thunfischen … Wenn ich der erste bin, der das Ende verdient, dann bitte noch nicht. Bitte noch nicht.“ Ich setze den Blinker und weiß, dass jetzt über dem glutroten Heckscheinwerfer die gelbe Blinkerbirne unter der schwarzen Glasblende aufleuchtet. Ein Anblick, den ich schon als Teenager unfassbar cool und elegant fand, wenn mal ein Saab 9000 CS auf der Autobahn an uns vorbeizog. Ich trete auf das Gaspedal, ziehe auf die linke Spur, höre das leise Pfeifen des Turboladers, während die warme Abendluft durch das Schiebedach strömt. Der Saab und ich fliegen dem Horizont entgegen, Kurs Landungsbrücken, vorbei an all den gesichtslosen Audis, BMWs und Mercedes. Und ich möchte ihnen zurufen: So lange wir noch hier sind, können wir noch nicht ausgestorben sein.