Nachdem ich während des Saab-Festivals arbeiten musste, habe ich diese Woche mein eigenes Saab-Festival gemacht. Samstagabend spontan beschlossen. Sonntagmorgen losgefahren. Ich liebe solche Ausbrüche aus dem Alltag. Ultimatives Freiheitsgefühl. Man macht es so selten.
Erster Halt im Louisiana Museum of Modern Art nahe Kopenhagen. Wollte ich immer schon mal hin. Ein fantastischer Ort. Wegen der paradiesischen Lage direkt am Meer. Wegen des atmosphärisch wirklich beeindruckenden Gebäudes, das von innen viel größer ist als von außen – wie Hogwarts oder ein Saab 9000. Und wegen der aktuellen Peter Doig-Ausstellung. Ich stand in meinem Leben noch nie in einer Bilderausstellung und sagte laut „Wow“, weil ich so geflasht war. Dieses Mal schon.
Zweiter Halt: Schwedische Zollkontrolle. Natürlich werde ich angehalten. So lange ich denken kann, werde ich bei jeder Polizeikontrolle angehalten. Mir gefällt das. Irgendwie komme ich mir dadurch so verwegen vor. Voller Liebe zur schwedischen Nation und voller Verständnis für ihre berechtigten Sicherheitsinteressen sitze ich in meinem wahnsinnig schwedischen Auto, sehe wahnsinnig schwedisch aus und erkläre sogar wahnsinnig auf Schwedisch, dass ich auf dem Weg nach Malmö bin und anschließend nach Trollhättan fahre. Privat. Erst hinterher fällt mir auf, dass das so ist, als ob man zu einem deutschen Zöllner sagt: "Ich mache Erholungsurlaub in Dortmund und Bochum." Der wahnsinnig schwedische Zöllner sagt ebenfalls wahnsinnig auf Schwedisch: "Aha. Dann fahren sie mal bitte raus und öffnen den Kofferraum." Dort warte ich neben einem tiefergelegten großen Mercedes mit schwarzen Scheiben, neben dem zwei Herren von der Sorte stehen, denen man auf St. Pauli lieber aus dem Weg geht. Sie und ich - wir sind die Einzigen. Zu dritt umkreisen die Zöllner mein Auto, fragen mich nach Hotelreservierungen, schauen in meine Taschen und Ablagen. Voller Liebe zur schwedischen Nation und voller Verständnis für ihre berechtigten Sicherheitsinteressen nehme ich das so hin. Doch dann wird unser Verhältnis ernsthaft auf die Probe gestellt. Einer der Zöllner wagt es, sich auf den Beifahrersitz zu setzen, und fängt an, kräftig an der Verkleidung des Beifahrerairbags zu rütteln. Ich bin empört, wütend und enttäuscht. Ich bin ein Opfer. An mir können diese Menschen ihre staatliche Willkür meinetwegen ausleben. Aber es gibt eine Grenze. Sie beginnt bei meiner Beifahrerairbagverkleidung. Zornig möchte ich rufen: "Hey Du obrigkeitsstaatliche Pottsau, ich rufe jedes Jahr beim Eurovision Song Contest zehnmal für Schweden an. Also nimm gefälligst Deine Flossen von meiner Beifahrerairbagverkleidung! Meiner SCHWEDISCHEN Beifahrerairbagverkleidung!" Dummerweise fällt mir aber nicht ein, was obrigkeitsstaatliche Pottsau auf Schwedisch heißt. Vielleicht auch besser so.
Dritter Halt: Malmö. Langweilig. War müde. Überspringen wir.
Vierter Halt: Varberg. Hübsch. Der Ort, an dem man aufwachen will, wenn man einen Nervenzusammenbruch hatte. Ich komme wieder, wenn ich 70 bin.
Fünfter Halt: Trollhättan. Passend zur Ankunft spielen sie im Radio die Schnulze „Ta mig tillbaka“ – Nimm mich zurück. An den Anblick des leeren Parkplatzfelds vor dem Werk kann ich mich einfach nicht gewöhnen.
Aber im Speisesaal meines Hotels hängt dafür das kitschigste Erik Carlsson-Gedächtnis-Plakat, das man sich vorstellen kann. Erinnert an Ceaucescu-Propaganda aus der Spätphase. Das Beste daran: Ich kann es kaufen. Und mache es.
Im Saab-Museum war ich schon mal vor sechs Jahren. Und trotzdem kribbelt es wie beim ersten Mal. Es ist so toll. Auf der Rampe stehen dieses Mal nur 9000 (und das als 900 getarnte Erprobungsfahrzeug für die neue Bodengruppe des 9000). Außerdem gibt es eine sehr schöne Sonderausstellung zu Saab-Enthusiasten und ihren Autos (vielleicht ist die jetzt auch dauerhaft. Ich kannte sie jedenfalls noch nicht.) Im Kinosaal zeigen sie einen alten Promotionfilm mit Erik Carlsson, der mir so gut gefällt, dass ich ihn gleich zweimal ansehe: „Sweden’s Amazing Auto Mobile“. Unter anderem zeigen sie darin, wie ein Saab 93 einen Berg runterfällt, sich mehrfach überschlägt, unten wieder auf seine eigene Achse gedreht wird und weiterfährt. (Leider finde ich den Film im Netz nicht. Er war in diesem super Videoarchiv von saabhistory.com zu sehen. Aber das ist ja leider, leider tot. Ein herber Verlust, wie ich finde.) Jedenfalls: Das Museum ist famos. Und es ist so famos, dass es noch da ist. Neben den beiden Mitarbeitern ist noch ein Mitglied des Veteranenvereins da, um die Autos abzustauben. Natürlich bin auch ich jetzt Mitglied des Fördervereins. Falls der eine oder andere von Euch 200 Schwedenkronen im Jahr erübrigen kann: Macht das mal bitte. Ich glaube: Da kann man mit überschaubarem Ressourceneinsatz wirklich etwas tun, um die Erinnerung an unsere Marke wachzuhalten. Hier:
http://scmsupport.org/
Ansonsten habe ich den halben Museumsshop leergekauft, Sebastian mit dem weißen Ohrring half mir, die Einkäufe rauszutragen. Die beste Erwerbung ist ein Plakat, auf das ich künftig vor dem Einschlafen gucken kann, um mir die Wartezeit auf den 900 zu verkürzen:-)
Sechster Halt: Volvo-Museum in Torslanda. Kein Vergleich. Ein Riesending. Sehr schön gemacht, wie ich finde. Vom legendären Schreibtisch, an dem Assar Gabrielsson und Gunnar Larsson sich immer gegenübersaßen – die Tür für die Angestellten stets offen, bis zur Ausstellung der Konzept- und Studienfahrzeuge. Es ist ja nicht so, dass die fetten Vettern aus Göteborg nie was Innovatives zustande bekommen hätten. Dreipunktsicherheitsgurt. Dreiwegekat. Doll. Aber es fällt doch auf: Die Unternehmensgeschichte ist weniger reich an Anekdotischem, die Produkte nicht so getrieben von der Leidenschaft für gute Detaillösungen. Ein Volvo ist sicher, solide, zuverlässig. Damit ist ein Volvo auserzählt. Fertig. Vielleicht ist das auch ungerecht und höchst subjektiv. Aber mir geht es so. Mein persönliches Highlight ist die Beschreibung zum Volvo 760, dem das Museum im Vergleich zum Volvo 240 „eine ganz neue Formensprache und Designphilosophie“ bescheinigt. Man schaut zum Volvo 240 – ein knorriger Kasten. Und dann zum Volvo 760 – ein knorriger Kasten. Und dann denkt man: Aha.
Alles in allem kann ich den Besuch im Volvo-Museum wirklich empfehlen. Und ja, würde man mich zwingen, mir einen Neuwagen zu kaufen, dann wäre es ein Volvo. Aber ich bin doch verdammt glücklich, als ich auf dem großen Parkplatz in einem Meer von neuen Volvos meinen schmutzigen alten Saab stehen sehe. Klar: Seine Ahnen werden in Trollhättan von einem Veteranen mit dem Staubwedel liebevoll abgewischt, während die Ahnen dieser Volvos von durchkomponierten Beleuchtungskonzepten kunstvoll illuminiert werden. Aber das bessere Auto ist er trotzdem. In jedem Fall das Auto mit mehr Charakter. Zeit für die Heimfahrt.
Es sind gerade solche gemeinsamen Ausbrüche aus dem Alltag – Tempomat rein, Radio an, Schiebedach auf, Laufen lassen, Stunde um Stunde um Stunde – die mich und ihn immer wieder aufs Neue verbinden. Saab-Momente.