Die Crux mit den Viskositäten oder: Fast täglich grüßt das Murmeltier.
Neulich ließ mich ein erneuter Ölthread hier im Forum wieder mal die Augen verdrehen und mit dem Kopf schütteln. Der war aber auch besonders schlimm und wurde zu Recht gleich wieder dicht gemacht. Es ist schon sehr auffällig, dass bei der grundsätzlichen Fragestellung, welches Öl man denn in seinen Motor kippen sollte, fast immer nur auf den Viskositäten rumgeritten wird, und da dann nach meinem Eindruck auch mehr auf der ersten Zahl, der Kaltviskosität.
Warum ist das so? Vielleicht liegt es daran, dass eines Tages Cracken und Synthetisieren Leben ins Ölgeschäft brachten. Neben den üblichen 10W-40 und 15W-40 gab es auf einmal auch ein 0W-40. Da sticht natürlich sofort die erste Zahl ins Auge. Dann war von „Wasseröl“ die Rede, um das Tieftemperaturverhalten im Vergleich zu den bekannten Mineralölen zu beschreiben. Der Satzteil hinter dem Komma wurde damals vielleicht schon überlesen, denn dass sich das Öl physikalisch bei höheren Temperaturen genauso verhält wie die anderen, das wird offenbar regelmäßig ausgeblendet. Die Kaltviskosität, gekennzeichnet durch das W, wird auch als dynamische Viskosität bezeichnet. Sie wird für die heute gängigen Klassen von 10W bis 0W deutlich unter 0°C gemessen, das hängt von der Klasse selbst ab. Die Heißviskosität (auch kinematische Viskosität) wird bei 100° C gemessen, also einen Wert im Bereich der Betriebstemperatur, wenn man eine längere Strecke fährt.
„Ich fahre 5W-30, ein 0W-40 ist mir zu dünn.“ Solch ein Satz ist Quatsch, ich bin mir aber recht sicher, dass ich das sinngemäß hier im Forum schon gelesen habe. Dabei ist meist bereits ab etwa 30-40 °C ein 0W-40 dicker als ein 5W-30. Oft sind in Datenblättern die kinematischen Viskositäten bei 40° und 100°C aufgeführt, weil über diese Gerade mit zwei Punkten der Viskositätsindex (VI) ermittelt wird. Achtet da mal drauf. Bei den 40°C-Werten unterscheiden sich zwei Öle gleicher Viskositätsklasse manchmal mehr als zwei Öle unterschiedlicher Viskositätsklasse – und nicht nur dort. Denn jede Viskositätsklasse ist als Fenster „von-bis“ definiert, daran schließt direkt das nächste Fenster an. Von daher kann ein 5W-30 schon fast ein 0W-40 sein und umgekehrt. Besonders schön kann man das bei der Castrol Edge-Reihe sehen. Bei 40 °C ist das 0W-40 bereits deutlich dicker als das 5W-30, es ist sogar etwas dicker als das 5W-40, aber z.B. wiederum dünner als viele andere 5W-40. Beim Mobil1 ESP geben sich 0W-40 und 5W-30 bei ziemlich genau 40 °C die Hand, ab da ist das 0W-40 dicker.
Die Viskosität ist natürlich nicht unerheblich. Ein Motor ist auf ein bestimmtes Viskositätsfenster ausgelegt, was vorgesehen ist steht in der Betriebsanleitung/Handbuch. Die Viskosität an sich ist aber kein Qualitätskriterium. Man kann z. B. nur dann behaupten, ein 10W-40 ist besser für einen bestimmten Motor als ein 5W-30, wenn dieser Motor für ein 5W-30 nicht vorgesehen ist. Ansonsten gelten die Spezifikationen/Freigaben. Nur an ihnen kann man abschätzen, ob ein Öl besser oder schlechter als ein anderes ist. Selbst dann kann ein Öl mit höherwertigen Spezifikationen bezogen auf ein Einzelkriterium wie Lagerverschleiß oder Verschmutzung noch schlechter sein als ein vom Etikett her schlechter erscheinendes. Dickeres Öl bietet physikalisch mehr Reserven hinsichtlich Schmierfilm/Bauteilkontakt, um Mischreibung zu vermeiden. So weit die Theorie. Trotzdem kann solch ein Öl verglichen mit einem dünneren zu mehr Verschleiß führen, weil die Additivierung vielleicht schlechter ist.
Warum liest man eigentlich selten bis nie von Viskostitätsdiskussionen beim Getriebe- oder Servoöl? Auch da wäre ja theoretisch Raum für Diskussionen…