Juli 19, 20159 j Autor Was ja so paradox ist: Saab hatte einerseits nicht genügend Mittel, um ein Nachfolgemodell für den 900 zu entwickeln. Zugleich nahm man aber die wenigen Mittel, die man hatte, und investierte sie in einen Ausbau der Produktionskapazitäten. Die Annahme war also: Die Modelle werden immer älter und gleichzeitig immer stärker nachgefragt ... Aber derlei Kuriositäten gab es viele. Ein Beispiel: Die Zweiteilung der Automobildivision zwischen Trollhättan und Nyköping. Das gesamte Management saß mehrere 100 Kilometer entfernt vom Hauptwerk. Der Grund: Als die eigenständige Automobildivision innerhalb des Saab-Scania-Konzerns gegründet wurde, bekam diese einen Chef namens Torsten Arnheim. Dieser hatte aber zur Bedingung gemacht, dass er in Nyköping bleiben könne, weil seine Frau die Industriestadt Trollhättan langweilig fand. Erst unter General Motors wurde dann der logische Schritt vollzogen, das Unternehmen in Trollhättan zu konzentrieren. Noch ein Beispiel: Die Saab-Produktion im finnischen Valmet-Werk geht noch auf den alten Patriarchen des Wallenberg-Clans, Marcus Wallenberg, zurück. Die Wallenbergs waren über Jahrzehnte die Haupteigentümer von Saab-Scania (und von so ziemlich allem anderen in Schweden). Wallenberg war mit dem finnischen Statspräsidenten befreundet. Als die Finnen beschlossen, eine eigene nationale Automobilproduktion aufzuziehen, setzte Wallenberg Saab als Kooperationspartner durch. Der Preis dafür waren allerdings sehr vorteilhafte Vertragskonditionen für die Finnen. Ihnen wurde zugesichert, dass immer mindestens 28,6 Prozent der gesamten Saab-Automobilproduktion in Uusikaupunki liegen müsse. Außerdem garantierte Saab die Abnahme aller Automobile, die Saab-Valmet nicht auf dem Heimatmarkt verkaufen konnte – und zwar zum Preis ab Werk von Saab-Valmet. Diese von Saab später verhasste Übereinkunft erwies sich immer ausgerechnet dann als Mühlstein um den Hals, wenn die Lage wegen sinkender Absätze sowieso schon schwierig war – also in den 70ern und Ende der 80er Jahre. Zum einen konnte Saab die Kapazitäten zwischen den Werken nicht flexibel aussteuern. Zum anderen musste Saab den Finnen zu einem hohen Preis die Überproduktion abnehmen. Erst General Motors gelang es, diese Vereinbarung aufzulösen. Man verlagerte neben der bestehenden Saab Cabrio-Produktion auch einen Teil der Opel Calibra-Produktion nach Finnland. Und noch ein Beispiel: Eine beliebte Methode, um dem schwedischen Staat Großaufträge für Militärflugzeuge oder Scania-LKWs abzuluchsen, war, ihn mit Saab-Komponentenwerken zu ködern. Die Logik war also: Gibst du mir einen Großauftrag, schaffe ich dir neue Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen deiner Wahl. Für die Automobildivision war das im hohen Maße unprofitabel. Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass die PKW-Produktion sich im Saab-Scania-Konzern immer den Interessen von Scania und der Flugzeugproduktion unterordnen musste. Noch 1989 – also mitten in der tiefsten Krise - traf Saab im Rahmen eines solchen Deals die Vereinbarung, ein neues Motorenwerk in Karlskrona zu errichten, das man überhaupt nicht brauchte. Im Gegenzug gewährte der schwedische Staat einen Großkredit für das neue Zivilflugzeug Saab 2000. Eines dieser typischen Saab-Komponentenwerke mit 100 Mitarbeitern wurde in Kramfors aus dem Boden gestampft. Es stellte Kabel für Saab Automobile her. Werke wie das in Kramfors waren hochgradig unproduktiv, weil sie sich gar nicht um Wettbewerbsfähigkeit bemühen mussten. Saab garantierte ja die Abnahme der Ware zu jedem Preis. Ein zweiter Zulieferer für Kabel war ein spanisches Unternehmen. Es lieferte die gleiche Ware 30 bis 35 Prozent günstiger... Unter General Motors wurden all diese Komponentenwerke abgestoßen. Viele davon wurden so wie Kramfors von den hiesigen Leitungen übernommen. Sie gingen nach kurzer Zeit bankrott.
Juli 19, 20159 j Ganz vielen Dank für die Mühe, uns diese ganzen Infos hier ins Forum zu schrieben, wirklich klasse von dir!
Juli 24, 20159 j Da sträuben sich nicht nur den Betriebswirtschaftlern unter uns die Haare. Und das schlimme ist ja, dass Saab nicht das einzige Unternehmen war bzw. ist, in dem solche Fehlentscheidungen Tag für Tag getroffen werden. Ich könnte heulen, wenn ich daran denke, dass es Saab heute noch geben könnte, wenn das Unternehmen wirtschaftlich sinnvoll geführt worden wäre.
Juli 25, 20159 j Sagen wir lieber etwas sinnvoller! Wenn Saab wirklich wirtschaftlich sinnvoll geführt worden wäre, dann hätte Saab Autos wie einen Passat, Accord oder Fiesta gebaut. Dann hätte es mich auch nicht weiter interessiert, was aus der Firma wird (bzw. geworden ist)
Juli 25, 20159 j Autor So sehe ich das auch. Wir alle sind letztlich Profiteure davon, dass da bei Saab niemand je so richtig nachgerechnet hat, ob man mit den Autos, die man konstruiert, eigentlich Geld verdienen kann. Nebenbei: Werbung können sie, die Nachbarn. Schön, dass es die zumindest noch gibt.
Juli 25, 20159 j Autor Ich würde sogar meinen, dass es ein paar Aspekte schlechten Managements gab, die direkten Einfluss darauf hatten, dass die Autos so gut waren. Der Konzern interessierte sich eigentlich nie sonderlich für die Automobilsparte. Sie war meistens lästig. Aber die Verluste ließen sich mit den Gewinnen von Scania verrechnen, was die gesamte Steuerlast angenehm senkte. Man investierte nicht viel in die Autodivision. Aber man achtete auch nicht sonderlich darauf, was sie trieb. Nur dadurch konnte ein Biotop entstehen, in dem die Ingenieure die absolute Hegemonie hatten. Die technischen Entwickler (und insbesondere die Motorenentwickler in Södertälje) waren bei Saab die unangefochtenen Halbgötter. Zugleich war das Management von Saab in der internationalen Autoindustrie nahezu gar nicht vernetzt. Als der GM Europa-Chef Bob Eaton Ende der 80er zum ersten Mal beim Saab-Scania-Chef Georg Karnsund anrief, sagte dieser: "Wer sind Sie überhaupt?!" Aus dieser Mischung - Dominanz der technischen Entwickler und fehlende internationale Vernetzung - entstand das, was man bei Saab in den 80ern als NIH-Syndrom bezeichnete: "not invented here". Eine misstrauische, autistische Grundhaltung, in der man nur den Dingen traute, die man selbst konstruiert hatte. Oder kurz gesagt: Man hielt alle anderen Autohersteller für komplett dämlich. Dieses NIH-Syndrom führte dazu, dass Saab nicht profitabel sein konnte. Denn ein Nischenhersteller KANN nicht sämtliche Komponenten einer so komplexen Konstruktion wie eines Automobils selbst entwickeln und anschließend noch genug Geld damit verdienen. Unsere Autos sind also im Wesentlichen Resultat des NIH-Syndroms. Und das ist bei Lichte betrachtet nur durch schlechtes Management entstanden. Gepriesen sei es!
Juli 25, 20159 j "Oder kurz gesagt: Man hielt alle anderen Autohersteller für komplett dämlich." Ja. Danke. Sind sie auch. Dadurch, dass die Verschuldungsprozesse (Politik!) zu ökonomischen Standards anwuchsen, konnte zwar die (richtige!) Sparte wirtschaftlich nicht mehr gehalten werden, aber wir sind noch nicht am Ende der (gehofft endlosen) Spirale angelangt… Erfolgreiche (per se) Automobilmarken (etwa BMW) veräußern ihre Automobile nur noch über Verschuldungskredite (95% der Produktion) ergo Leasing… Die Blase wird irgendwann platzen. Und dann sind auch diese Unternehmen im Jetzt angekommen… Danke, dass wir noch echte Autos fahren dürfen. Danke an die Saab-Philosophie… auch wenn sie veraltet erscheint. Ist sie hingegen nur, wenn man die Fehler des Marktes als wirtschaftliches, betriebswirtschaftliches "Must" akzeptiert. Muss man aber nicht. Man kann auch sagen: die "Anderen" lagen falsch, wir waren auf dem richtigen Weg...
Juli 26, 20159 j Autor Erfolgreiche (per se) Automobilmarken (etwa BMW) veräußern ihre Automobile nur noch über Verschuldungskredite (95% der Produktion) ergo Leasing… Die Blase wird irgendwann platzen. Wenn ich mich richtig entsinne, war das aus der Sicht der Saab-Händler in den GM-Jahren der Hauptkritikpunkt: Man hatte über GM keine wettbewerbsfähigen Leasingkonditionen. Und da in den Segmenten, in denen Saab antrat, nun mal ein Großteil der Wagen Firmenwagen waren, hatte man ein richtiges Problem. Der freiberufliche Architekt least sein Auto nun mal, statt es zu kaufen. Bis vor ein paar Wochen arbeitete ich in einem schwedischen Unternehmen, das genau wie Saab zum Wallenberg-Imperium gehörte. Deshalb standen in der Dienstwagenliste auch Saab. Allein: Kaum einer wollte einen. Warum? Weil die monatliche Zuzahlung viel höher war als für einen BMW oder Audi. Dass allerdings Leasingverträge immer stärker eingesetzt werden, um Autos im oberen Marktsegment gezielt in den Privatkundenmarkt zu prügeln, fällt mir auch auf. Mir scheint, gerade Volvo würde ohne dieses Instrument fast kein Auto mehr im deutschen Markt loswerden. Vor ein paar Monaten, als ich mit dem Gedanken spielte, mir einen neuen V70 zu holen, habe ich es selbst erlebt. Listenpreis um die 45k. Als Tageszulassung knapp 30k. Monatliche Leasingrate ohne Anzahlung: 365 Euro brutto. Mit diesem Auto können Hersteller und Händler kein Geld mehr verdienen.
August 30, 20159 j Autor „Kommst du pünktlich?“ Saabs Personalchef Allan Rothlind rief Jan Åke Jonsson früh am Morgen des 3. Dezember 2009 an. Nach seiner Rückkehr aus den USA war Jonsson in seinem dunkelgrauen Saab 9-3 Kombi auf dem Weg von Göteborg nach Trollhättan. „Ja“, antwortete der Saab-Chef, der in seinem Kalender notiert hatte, dass er um 8 Uhr am Morgen mit Rothlind zu einer Besprechung verabredet war. Dann schien es so, als ob Rothlind noch etwas anderes sagen wollte. Schließlich meinte er: „Sei nicht überrascht, wenn du zur Arbeit kommst.“ Jan Åke Jonsson fuhr und dachte: Vielleicht hatte jemand Kuchen mitgebracht. Immerhin war die Abwicklung von Saab noch einmal für 30 Tage aufgeschoben worden. Im Morgengrauen standen am Haupttor von Saab mehrere hundert Arbeiter in der Kälte und warteten. Ein paar weibliche Mitarbeiter hatten sich direkt auf dem Parkplatz des Chefs postiert, jede hatte eine Rose in der Hand. Den Anfang hatte ein Kollege aus der Personalabteilung gemacht. Er hatte vorgeschlagen, dass man gemeinsam auf Jan Åke warten solle, wenn er aus Detroit zurückkomme. Danach wurde Geld gesammelt. Immer mehr Leute wollten sich beteiligen, und zum Schluss hatten sie so viel zusammen, dass sie ihrem Chef eine lebenslange Mitgliedschaft in seinem Lieblingsfußballverein AIK und ein Spa-Wochenende in Grythyttan schenken konnten – und einen Apfelbaum. Schließlich kam er. Wie jeden Morgen fuhr er durch das Haupttor über den gefrorenen Asphalt, die Auspuffrohre stießen weiße Rauchschwaden in die Kälte. Da fingen sie an zu applaudieren. „Die Stimmung war unbeschreiblich“, sagt Projektleiter Maths Johansson, der unter den Wartenden war. Jan Åke Jonssons grauer Saab bahnte sich seinen Weg durch die Menge, auf seinem Gesicht war immer noch kein Lächeln – nur Erstaunen. Als er aus dem Auto stieg, wurde der Applaus immer stärker, zum Schluss klatschten die Arbeiter im Takt. Jan Åke Jonsson stand in seiner Winterjacke und mit einer Aktenmappe zwischen den Menschen. Jemand hatte ihm eine blaue Saab-Schirmmütze aufgesetzt, 20 Rosen wurden überreicht. Die Lokalzeitung TTELA machte ein Foto, aber es gab kein Mikrofon. Niemand hielt eine Rede. Alles war improvisiert. „Ja, vielen Dank“, sagte Jan Åke Jonsson, und dann lauter: „Vor uns liegt harte Arbeit.“ Nur die, die ihm am nächsten standen, konnten ihn verstehen und hörten die Rührung in seiner Stimme. Dann ging er mit seiner Aktenmappe und den 20 Rosen durch die Menge zum Eingang und verschwand. Das Ereignis wurde von einer Angestellten gefilmt und später auf Youtube gestellt. Es war eine der Szenen in diesen Tagen, die das Bild des tapferen David Saab gegen den bösen Goliath GM prägten. Im Nachhinein sagt Jonsson: „Ich brauchte eine ganze Zeit, um zu begreifen, dass diese Leute alle gekommen waren, um ihre Dankbarkeit auszudrücken. Man weiß ja nie so richtig, was die allgemeine Auffassung zu dem ist, was man tut. Man denkt auch nicht so oft darüber nach, sondern versucht einfach sein Bestes. Und wenn man dann plötzlich merkt, dass man so große Unterstützung hat – natürlich ist man dann auch gerührt.“ Der Abstand ist groß zwischen dem Chef und den Mitarbeitern am Band. Auch bei Saab. Jan Åke Jonsson erschien selten in der Fertigung, um mit den Arbeitern zu sprechen. Smalltalk ist nicht sein Talent. Aber „Jan Åke“, wie ihn viele Angestellte nennen, wurde immer mehr als der Einzige wahrgenommen, der noch auf der Brücke aushielt, während der eisige Wind ins Gesicht blies und das Schiff zu sinken drohte. Er kämpfte gegen die Todesurteile der Medien, gegen Spekulanten mit ihren leeren Versprechen, gegen die schwedische Regierung, die nur zynische Kommentare für Saab übrig hatte. Öffentlich wurde er wegen seiner Durchhalteparolen als "Bagdad-Bob" verspottet. Aber für die Menschen bei Saab war er der Einzige, der noch für sie kämpfte. Aus: Jonas Fröberg. Kampen om Saab.
Oktober 11, 20159 j Autor Mir ist wieder einer zugelaufen: Bobo, der BorgWarner-Bomber. In der an Glorie und Geniestreichen reichen Unternehmensgeschichte von Saab ist der arme Bobo nur eine Randnotiz. Er ist so wie der entfernte Verwandte, für den man sich etwas geniert, den man aber trotzdem aus Pflichtgefühl zu großen Familienfesten einladen muss. In Bobo versammelt sich alles, was nicht so glorreich und genial an Saab war. Sein stets etwas angestrengt und kehlig klingender 8-Ventil-Motor hat keinen Turbolader wie seine großen Brüder. Von den nominal vorhandenen 110 PS versumpfen etwa die Hälfte irgendwo in der antiken 3-Gang-Automatik des amerikanischen Zulieferers BorgWarner. Bobo ist also – und da gibt es gar nichts zu beschönigen – ein sehr, sehr langsames Automobil. Er ist so langsam, dass mein Freund C. einst über ihn sagte: „Wenn so einer vorbeifährt, brauchst ihn nicht zu fotografieren. Kannst ihn in Ruhe abmalen.“ Als ob es nicht genug wäre, dass Motor und Getriebe Bobo nur zu bescheidenem Vortrieb verhelfen, hat man beides auch noch in die einzige Karosserievariante gebaut, die selbst bei Markenliebhabern seit jeher nur eine Frage auslöste: „Wieso haben die denn DAS gebaut?“ Wer heute an einen Saab 900 denkt, der denkt an ein schwarzes CombiCoupé. Das Auto der Architekten, Intendanten und Autoren. Vergessen wird dabei, dass Saab stets auch einen anderen Kundenkreis im Auge behalten musste: Den genügsamen skandinavischen Durchschnittsrentner. Und für den war Bobo gedacht. Zwei Türen und ein klassisches Stufenheck. Fensterkurbeln, robustes Velours, „Was nicht drin ist kann nicht kaputt gehen“-Ausstattung. Gebaut wurde diese Kombination ausschließlich im finnischen Werk Uusikaupunki. Das Problem an der Sache: Selbst der genügsame skandinavische Durchschnittsrentner ließ Bobo links liegen. Von 908.810 gebauten Saab 900 teilen nur 37.795 die Karosserieform von Bobo. Anfang der 1980er Jahre wollten die Schweden dem Chef ihrer Amerika-Vertretung, Bob Sinclair, das neue zweitürige Sedan-Modell schmackhaft machen. 1000 Stück davon sollte er in den USA jährlich verkaufen. Doch Sinclair sträubte sich: „So ein Auto lässt sich bei uns nicht verkaufen.“ Die Schweden beknieten ihn. Er könne alles in die Autos stopfen, was er wolle: Getönte Scheiben, Klimaanlage, elektrische Fensterheber, Leder. Sinclair überlegte und sagte: „Ich will ein Cabrioverdeck.“ Das war die Geburtsstunde des legendären Saab 900 Cabrio. Und wer auf dem Foto von Bobo mit der Hand das Dach verbirgt, kann noch heute erkennen, dass auf seiner Grundlage eines der schönsten Modelle in der Geschichte des Automobils überhaupt entstand. Nur half Bobo das selbst überhaupt nicht. Manches ließe sich zu seiner Verteidigung vorbringen. Zum Beispiel, dass er mit seinem großen Kofferraum und der umlegbaren Rückbank einen ungewöhnlich großen Nutzwert für eine klassische Limousine hat. Oder auch, dass die Finnen seit jeher die beste Fertigungsqualität und Rostschutzvorsorge innerhalb des Saab-Konzerns ablieferten. Oder auch, dass der alte 8-Ventiler bei etwas Zuwendung genauso beachtliche Laufleistungen erreichen kann wie seine geschmeidigeren 16-Ventil-Brüder. Aber das alles hilft nichts. Nobody wants poor little Bobo. Niemand? Das stimmt nicht ganz. Denn im Februar 1989 fand Bobo als brandneues Importfahrzeug seinen Weg von Finnland über Dänemark in die Garage von Ellen R., geboren im Februar 1923, wohnhaft in Hamburg Blankenese. Keinesfalls der mondäne Teil von Blankenese, sondern eine bescheidene kleine Zweizimmerwohnung in einem schlichten Mehrfamilienhaus. Ellen, so weiß ihre Tochter Barbara 26 Jahre später zu berichten, wollte unbedingt einen Saab. Ein entfernter Cousin hatte ihr gesagt, dass Saab die solidesten und sichersten Autos überhaupt baut. Ihren finanziellen Möglichkeiten entsprechend musste sie sich bei der Ausstattung beschränken. Sie wollte eine Automatik und dieses wunderbare große Schiebedach. Das reichte. So kam Bobo zu ihr, und die beiden blieben 26 Jahre und 82.000 Kilometer lang zusammen. „Der Saab war ihr ein und alles“, sagte ihre Tochter. Sichtbares Zeichen der Zuneigung ist ein winziges Saab-Scania-Emblem, das Ellen R. als Devotionalie auf den Handschuhfachdeckel klebte. Sie wurde erst 70, dann 80, dann 90. Aber Bobo wollte sie nicht aufgeben. Er war ihr kleines Freiheitsversprechen auf Rädern. Entgegen aller Warnungen ihrer Tochter setzte sie sich immer noch selbst ans Steuer. Zwar löste sie regelmäßig Hupkonzerte aus und stellte die selbst reparierenden Stoßstangen (eine Saab-Erfindung!) beim Einparken auf harte Proben, aber Ellen und Bobo blieben unzertrennlich. Dann, eines Tages im Frühjahr 2015, fuhr Ellen R. in ihrem alten weißen Saab zum Einkaufen. Sie stieg aus, rutschte auf dem Parkplatz aus, kam ins Krankenhaus und starb. Sie verbrachte ihre letzte Stunde in Freiheit in ihrem Saab. Aber jetzt brauchte Bobo ein neues Zuhause. Und so kam er nun vor kurzem zu mir. Als ich ihn abholte, brachte Ellens Tochter Barbara, die seit langem in England lebt und ein wenig aussieht wie Rose von den Golden Girls, mich hinunter zur Garage. Dort gab sie mir den Schlüssel und sagte: „Meiner Mutter hätte das sehr gefallen, dass Sie ihr Auto bekommen.“ Dann strich sie mir auf einmal etwas verlegen mit einer Hand über die Wange und sagte: „Passen Sie gut auf sich auf. Und auf den Saab auch.“ Als Bobo und ich vom Hof fuhren, winkte sie uns nach. Sicher dachte sie in diesem Moment an die vielen Situationen, in denen sie ihrer Mutter in ihrem Saab 900 nachgesehen hatte. Warum nun bin ich der zweite Mensch nach Ellen R., der Bobo aufnimmt, obwohl ihn doch eigentlich keiner will? Weil ich ein Herz für unverstandene Minderheiten habe? Klar. Sonst würde ich ja überhaupt keinen Saab fahren. Weil ich diesen merkwürdigen Aberglauben habe, dass Autos, die geliebt wurden und werden, dankbar sind? Natürlich. Weil Bobo in all seiner konservativen Schlichtheit einen ganz eigenen Reiz ausstrahlt? Auch. Weil Bobo viele der Eigenheiten hat, die einen Saab 900 so besonders machen? Vom 45 Grad geneigten Motor über die in die Türen integrierten Seitenschweller, dem Zündschloss vor dem Schalthebel, der steilen, gebogenen Panoramafrontscheibe, dem genialen Fahrwerk? Selbstverständlich. Aber es ist noch mehr als das. Seine Erstzulassung fällt in das Saab-Schicksalsjahr 1989. Jenes Jahr, in dem der so wichtige US-Markt für Saab zusammenbrach, der Saab-Scania-Konzern in Milliardenverluste taumelte und verzweifelt einen Partner für die Autosparte suchte. Am Ende schlug General Motors zu, die Autosparte wurde als "Saab Automobile AB" aus dem Konzern herausgelöst, und damit endete die Ära Saab-Scania – die Idee eines schwedischen Mobilitätskonzerns, der unter seinem Dach zivile und militärische Flugzeuge, Raumfahrttechnik, Lastkraftwagen, Busse und Automobile verbindet. Zwanzig Jahre lang hatte dieser Zusammenschluss gehalten. Einfach war diese Ehe aus Saab und Scania zwar nie. Aber sie war doch die beste und aufregendste Periode in der Geschichte von Saab. Und Bobo ist einer ihrer letzten Zeugen. In seinem Fahrzeugschein steht tatsächlich noch „Fahrzeughersteller: Saab-Scania (S)“. Wundervoll. Nicht zuletzt: Bobo gehört genauso zur Geschichte meiner geliebten kleinen Autofirma wie jedes schicke schwarze Saab 900 Turbo Cabrio. Vielleicht ist er sogar noch typischer. Denn die Grundidee, mit der der Flugzeughersteller Saab zum Ende des Zweiten Weltkriegs in die Entwicklung eines eigenen Autos einstieg, war genau diese: Ein anspruchsloses, sicheres, zuverlässiges Automobil, das sich mit Frontantrieb seinen Weg durch die harten schwedischen Winter bahnt. Ein robustes, gutes, einfaches Fahrzeug, das dem Menschen ein treuer Freund ist. So sollte ein Saab sein. Und genau so ist Bobo.
Oktober 11, 20159 j Glückwunsch!!! Ich hatte auch mal einen 8V Automatic. Auch als Sedan. Wahrscheinlich der einzige meiner nicht wenigen Saabs, den ich nie hätte hergeben dürfen...
Oktober 11, 20159 j Autor Danke! Tiefenentspannte Mobilität. Ich bin noch nie so angstfrei an einer Radaranlage vorbeigefahren.
Oktober 11, 20159 j Sehr schöne Saab-Geschichte. Danke. Und ich wünsche viele tiefenentspannte Kilometer!
Oktober 11, 20159 j Na, dann mal auch die herzlichsten Glückwünsche aus Berlin! Das ist ja nochmal 3 Zacken schärfer, als die anderthalbte Hand des 72Tkm-9k. Wirklich SPITZE! Und ja, bei Dir ist das Auto wohl in genau den richtigen Händen. Das kann die alte Elli in Frieden ruhen, und muss nicht im Grabe rotieren, weil jemand ihren SAAB einfach 'auffährt'.
Oktober 11, 20159 j Autor Vielen Dank allerseits! Im Moment ist der Wagen nur am Wochenende bei mir. Unter der Woche kümmert sich meine Hamburger Werkstatt um ihn. Ellen R. brachte den Wagen zwar regelmäßig in die Wartung (bis zum Schluss!), der Motor sprotzelt fröhlich vor sich hin, die Automatik schaltet weich, die Karosserie ist insgesamt sehr gut erhalten und das Fahrwerk beeindruckend (ich dachte immer, ein 900 hätte keine Federung?! Dieser hier schon!). Aber es hat sich doch was angestaut. Die Zylinderkopfdichtung ist fällig. Zwei, drei kleinere Roststellen am Unterboden müssen geschweißt werden. Das Auto stinkt im Stand nach Sprit. Das Armaturenbrett klappert (so etwas hasse ich!). Die Sitzheizung, die Innenbeleuchtung und die Rückfahrleuchten funktionieren nicht. Der Dachhimmel hängt im frühen Stadium der Beulenbildung. Und vor allem: Beifahrertür, Seitenteil und Stoßstangen sind durch diverse Garagenwandkollisionen in erbarmungswürdigem Zustand. Eigentlich hätte ich auch gerne wieder eine funktionsfähige elektrische Antenne (hatte der doch ab Werk, oder?). Aber ich bin guter Hoffnung, dass Bobo rechtzeitig wieder vorzeigbar ist, wenn es in den Weihnachtsurlaub geht. Den Job soll er nämlich dieses Jahr dem Aero abnehmen. Weil alle in der Familie ihn schon jetzt so gern haben.
Oktober 11, 20159 j Du willst Bobo bei Salz auf die Straße lassen? Ja, für den Aero ist das auch nicht soooo toll. Aber 9k haben da halt doch ein paar Schwachstellen weniger und sind meiner Erfahrung nach leichter rostarm zu halten.
Oktober 11, 20159 j Autor Klar. Der wird neu versiegelt und bekommt genau wie der Aero ein Ganzjahreskennzeichen (schon um die DIN-Kennzeichen zu erhalten). Ich bin ja mittlerweile in der glücklichen Lage, im Alltag gar kein Auto mehr zu brauchen. Aber wenn ich mal eins brauche, dann fahre ich auch damit.
Oktober 11, 20159 j Eigentlich hätte ich auch gerne wieder eine funktionsfähige elektrische Antenne (hatte der doch ab Werk, oder?) Die elektrische Antenne gab es nur bei den 16S ab und zu in Serie. Ist ein eher seltenes Ausstattungsmerkmal
Oktober 11, 20159 j Echt?!? Hatte mein 8Vi bei sonstiger Buchhalter Ausstattung auch. Spritgeruch: kann mehrere Ursachen haben. Gehört gewissermaßen zum 901 Parfüm. Armaturenbrett: wenn es nicht klappert, dann reißt es. Beides und den Rest wird man hin bekommen! Schwarz weisse Saab Welt mit umgekehrten Vorzeichen
Oktober 12, 20159 j Na, dann mal auch die herzlichsten Glückwünsche aus Berlin! Das ist ja nochmal 3 Zacken schärfer, als die anderthalbte Hand des 72Tkm-9k. Wirklich SPITZE! Und ja, bei Dir ist das Auto wohl in genau den richtigen Händen. Das kann die alte Elli in Frieden ruhen, und muss nicht im Grabe rotieren, weil jemand ihren SAAB einfach 'auffährt'. Aus Berlin? Wird es der gestandenen Ellen gerecht, sie hier - unbekanntermaßen - zu verniedlichen und eine Elli draus zu machen? Also ich find' nicht. [mention=4771]lunatic-factor[/mention] : Dann hab' ich ja jetzt wieder inneren Frieden, weil ich weiß, dass dieses sich von der SAAB-Masse so sehr abhebende Vehikel dort bleibt, wo - wie es die DIN-Kennzeichen schon sagen - hingehört. Und die Stabantenne gehört dazu, noch mehr, als die Katzenaugen an den Stoßstangenseitenteilen.
Oktober 12, 20159 j [mention=4771]lunatic-factor[/mention] , herzlichen Glückwunsch - und herzlichen Dank im Namen der Sedanretter.
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