Ein letzter Versuch mit der Schulphysik.
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Hej patapaya
Langer Text in dieser Nacht, mußtest Du Dienst schieben (da Du offenbar in der medizinischen Ecke tätig bist)?
Ich durfte den Jahreswechsel auch in einem kranken Haus verbringen, allerdings auf der Seite der Tür mit dem Bett. Bin heut nachmittag rausgelassen worden.
Mit dem Hintergrund erstmal allen ein Gutes Neues Jahr!
Zur Physik, ihr (auch René einen Beitrag drüber) habt ja vollkommen recht mit dem Zusammenhang Crashlänge-Geschwindigkeitsabbau. (Für den Link (#106) müßte man sich übrigens irgendwo anmelden.) Aber das reicht alleine heute nicht mehr für einen Vergleich 9000 zu einem modernen Auto bei der Sicherheit.
Ich versuche es mal mit einer, sehr stark vereinfachten und überzogenen, Historie:
Frontalcrash war und ist immer noch die häufigste Unfallart.
Mit 40km/h gegen eine Mauer:
40-er Jahre: Auto leicht verbogen, Fahrer von der Lenksäule aufgespießt
60-er Jahre: Auto stark beschädigt, Fahrer überlebt schwerverletzt (Knautschzone)
70-er Jahre: Auto stark beschädigt, Fahrer überlebt verletzt (zusätzlich Anschnallpflicht)
80-er Jahre: Auto stark beschädigt, Fahrer überlebt leichtverletzt (zusätzlich Airbags)
Und seither ist das mehr oder weniger Stand der Technik, ACHTUNG, bei der Unfallart Frontalcrash mit 100% Überdeckung gegen ein starres Hindernis.
Vielleicht ist dies immer noch die prozentual häufigste Unfallart, aber mit stark rückläufiger prozentualer Verletzungsschwere.
Also trat der Frontalcrash mit nur teilweiser Überdeckung in den Fokus, da nun dort die schwersten Verletzungen auftraten (wieder prozentual). Nicht weil die Unfallart zunahm.
Auch da wurden in der Folgezeit weiterentwickelt mit dem Ergebnis das die Anzahl der Schwerverletzten weiter zurückging.
Und nun wurde festgestellt das bei nur 25%er Überdeckung die Anzahl der Schwerverletzten zunahm (prozentual, ich wiederhole mich), und der Begriff „small overlap“ war geboren. Nicht weil diese Unfallart zunahm.
Also werden die Autos in Hinblick darauf weiterentwickelt, die anderen Unfallarten deswegen aber nicht vernachlässigt. Auch wenn es da manchmal Zielkonflikte gibt, auch regionale. Die Vorschriften sind nicht in allen Ländern/Märkten gleich.
Ein Auto das in den 80er-Jahren konzipiert wurde kann also durchaus bei speziellen Unfallarten mit einem modernen Auto vergleichbar sein, leider aber gibt es da keine „Genormten“.
Jeder Unfall ist anders. Und spätestens bei der Kategorie „small overlap“ kann der 9000 nur granatenmäßig versagen. Da knabbern moderne Autos ziemlich dran.
Wie also soll „Sicherheit“ hier in dieser Frage definiert sein?
Kleiner Ausflug in die Problematik „small overlap“ und warum das eine echte Herausforderung ist.
Hier trifft der Unfallgegner das Auto auf der Fahrerseite neben(!) der in der Vergangenheit so sorgsam ausgearbeiteten Crashstruktur, also den Längsträgern im Motorraum.
Also eigentlich ein unachtsamer Fahrer der etwas auf die Gegenfahrbahn gerät.
Dort befinden sich das freie Ende des Stoßfängers, Kotflügel- und Motorhaubenecke und Scheinwerfer, nichts also was nennenswert die Geschwindigkeit abbaut. Dann folgt `ne Menge Nichts. Der Freiraum nämlich den das Vorderrad für Lenk- und Federbewegung braucht, in allen zugelassenen Reifengrößen und ggfs. mit Schneeketten.
Rad bzw. Radaufhängung reißt dann ab und prallt nach kurzem Weg durch das hintere „Nichts“ gegen die A-Säule. Erst dort befindet sich die erste nennenswerte Struktur. Dummerweise ist die aber schon die Fahrgastzelle die sich nur noch sehr wenig verformen soll.
Und die gegenüberliegende Seite hat zu dem Zeitpunkt noch garnichts von dem Aufprall mitbekommen und fährt ungebremst weiter. Das Auto will sich also wie ein Parallelogramm verformen.
Wenn die recht robuste A-Säule alleine nun die Fuhre abbremsen sollte geht das nur mit Beschleunigungskräften die der menschliche Körper nicht oder nur eingeschränkt ertragen kann. Dieses Problem ist ja auch schon mehrfach angesprochen worden. Deswegen wird versucht die Autos nach dem Aufprall seitlich abzulenken so das sie sich nicht verhaken sondern „sanft“ auslaufen können.
Problem #1: Der Fahrer ist durch Sitz und Gurt nur locker mit dem Fahrzeug verbunden. Wenn das Fahrzeug seitlich abgelenkt wird fliegt der Fahrer weiter nach vorn. Airbags im Lenkrad und vielleicht am Dachrahmen öffnen sich, der Kopf fliegt aber genau daneben (das Auto bewegt sich ja seitlich).
Problem #2: Das Verhalten des Rades, einmal macht es Riesenunterschiede ob beim Aufprall grade eine Speiche, ein „Leerraum“ oder eine Mischung aus beidem vorne steht. Zum zweiten lassen leichte Lenkwinkelunterschiede das Rad mal nach außen, mal nach innen wegknicken. Die Berechner müssen mehrere hundert Rechenläufe starten um halbwegs belastbare Aussagen treffen zu können.
Wenn also jemand Wert auf das bestmögliche Verhalten bei dieser Unfallart legt, nur Originalfelgen verwenden, Zubehör wird natürlich nicht getestet.
Gesetzlich ist dieser Crashtest bei uns nicht festgelegt, meine ich(?). Der gilt nur in den USA, und demnächst will China ihn wohl auch übernehmen. Aber durch ADAC und Autozeitschriften ist er hier ja mittlerweile bekannt.
Und dann gibt es ja noch den Seitenaufprall, den Überschlag, den High-speed-Heckaufprall mit 80 km/h hinten rein, den Low-speed-Aufprall für die Versicherungseinstufung, den Dachaufprall, den Pfahlaufprall, den Fußgängeraufprall, den Schrägaufprall, …, …, …, …
(...) Crash-Sicherheit (...) Gerade bei einem Thema, das ja nur für einen Bruchteil der Kunden von Bedeutung ist. Manche Hersteller, darunter ja wohl Mercedes, Saab und Volvo, haben ja früher nicht nur genormte Crashsituationen in der Konstruktion berücksichtigt, sofern sie es schon gab, sondern aus Überzeugung und Erfahrung ihre eigenen Tests entwickelt. Den heute sicher ausgereifteren, genormten Crash-Tests steht ein finanzieller Druck gegenüber, der vermutlich anders als früher weniger Raum für Optimierungen über die geforderten Sicherheitsstandards hinaus lässt...
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Das glaube ich so nicht.
Ich denke „der Kunde“ geht mittlerweile eher stillschweigend von einer guten Crashsicherheit aus (und richtet seinen Augenmerk lieber auf die Internetfähigkeit
).
Und zumindest für den Hersteller mit dem Stern, zumindest da wo ich ein wenig Einblick hab, kann ich sagen das die Autos auf die „Höchststernzahl“ hin konstruiert werden und es auch noch weitere firmeninterne Anforderungen gibt. Das wird bei den anderen Herstellern ähnlich sein.
(...) Crashkompatibilität ist ja auch eine der großen und nicht ausreichend beackerten Themen in dem Zusammenhang. (...)
(...) einen Ping Pong-Ball aus dem deutlich leichteren Unfallfahrzeug, dass dann nicht nur bis zum Stillstand abgebremst, sondern nicht selten sogar in die Gegenrichtung beschleunigt wird - was die Insassenbelastungen und damit das Risiko innerer Verletzungen unkalkulierbar steigert. Und das sind keine theoretischen Erwägungen, sondern Erlebnisse aus der Realität.
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Wenn ich das vor Weihnachten richtig mitbekommen habe werden für Europa grade neue Tests ausgearbeitet die diese Themen berücksichtigen sollen. Das Zurückschleudern leichterer Unfallgegner und auch die geometrische Überdeckung in der Breite, Höhe und auch die Eindringtiefe einzelner Bauteile (z.B. Längsträger) werden da wohl mit Minuspunkten bewertet.
Aber wirklich wissen tue ich da nicht Genaues.